Fallstudie Friedensmissionen im Kosovo

1998 spitzte sich im Kosovo, einem Teil des damaligen Jugoslawiens, der Konflikt zwischen den Kosovo-Albanern und dem Regime des jugoslawischen Staatspräsidenten Milosevic zu. Die Kosovo-Albaner, die über 80 Prozent der Bevölkerung stellten, hatten sich schon lange friedlich für die Unabhängigkeit des Kosovo eingesetzt. Seit 1997 wurde durch die UCK („Untergrundorganisation Kosovarische-Befreiungsarmee“) auch militärische Gewalt angewandt, u. a. durch Anschläge auf Polizei und kosovo-albanische „Kollaborateure“. Nachdem das Milosevic-Regime seit März 1998 mit Sonderpolizei und Armee gegen die Aufständischen vorgegangen war, eskalierten die Auseinandersetzungen zum Bürgerkrieg.

Die NATO begann nach gescheiterten Vermittlungsbemühungen am 24. März 1999 einen Luftkrieg gegen Jugoslawien. Begründet wurde das mit dem Ziel, eine „humanitäre Katastrophe“ im Kosovo zu verhindern. Allerdings heizte der NATO-Bombenkrieg serbische An- und Übergriffe bis hin zu „ethnischen Säuberungen“ auf Kosovo-Albaner eher an: Innerhalb weniger Tage mussten rund 800.000 Menschen – etwa die Hälfte der Bevölkerung – aus dem Kosovo fliehen oder wurden vertrieben, 10.000 Kosovo-Albaner wurden getötet.

Für diesen Krieg der NATO gab es kein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Einige Staaten, viele Völkerrechtler und auch Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt bezeichnen ihn deshalb als „völkerrechtswidrig“.

Nach drei Monaten Krieg gab Jugoslawien nach und vereinbarte mit der NATO einen Waffenstillstand. Ebenfalls stimmte es zu, den Kosovo für eine Übergangszeit durch die Vereinten Nationen verwalten zu lassen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschloss daraufhin am 10. Juni 1999 mit der Resolution 1244 eine friedenserhaltende (peacekeeping) Mission, die Interimsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) einzurichten. Gleichzeitig wurde der NATO die Aufgabe zu übertragen, durch die Kosovo-Truppe KFOR den Waffenstillstand und die militärische Sicherheit im Kosovo zu gewährleisten. Die KFOR untersteht jedoch nicht den Vereinten Nationen. Ebenfalls wurden OSZE und EU mit spezifischen zivilen Aufgaben im Rahmen des UN-Mandats betraut.

Ziele und Aufgaben der Missionen

Das Ziel der Mission war, „die Bedingungen für ein friedliches und normales Leben aller Einwohner des Kosovo sicherzustellen“ (UN-Resolution 1244). Mit der Übernahme sämtlicher staatlichen Funktionen wurde ein bis dahin einmaliges, umfassendes Projekt der „Nationsbildung“ durch die UN übernommen. Aufgaben waren dabei, die Schaffung eigener demokratischer Institutionen sowie eine grundlegende Neugestaltung des Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsystems. Die KFOR als militärische Komponente der Mission sollte die Einhaltung des Waffenstillstandes, den Abzug jugoslawischer Truppen und die Auflösung der UCK-Guerillaarmee überwachen sowie die innere Sicherheit vor allem für die serbische Minderheit (circa zehn Prozent der Bevölkerung des Kosovo) in dem nach wie ethnisch geteilten Land sicherstellen.

Entsprechend der Kompromissformulierung der Resolution des Sicherheitsrates sollte die UNMIK mittelfristig die „substanzielle Autonomie und Selbstregierung“ im Kosovo entwickeln und einen „politischen Prozess“ anstoßen, bei dem der „künftige Status“ des Kosovos am Ende einvernehmlich bestimmt werden sollte. Gleichzeitig wurde in der Resolution auch die „Souveränität und territoriale Integrität“ Jugoslawiens bekräftigt, dessen Teil der Kosovo war.

Akteure der Mission

Die UNMIK hatte anfangs über 3.600 Polizisten und über 800 internationale Zivilisten im Kosovo im Einsatz. Sie war die höchste Exekutive für alle staatlichen Tätigkeiten. Beteiligt waren Angehörige aus über 55 Staaten. Die größten Kontingente stellten mit jeweils über 400 Polizisten die USA, Indien und Jordanien. Mit der Entwicklung von autonomen kosovarischen Staatsstrukturen und der Übergabe von Aufgaben an die EU-Mission EULEX nach der Unabhängigkeitserklärung von Kosovo 2008 nahm der Umfang von UNMIK ab. Im September 2011 bestand die UNMIK noch aus 174 internationalen Zivilisten und acht Militärs.

Die KFOR hatte anfangs über 50.000 Soldatinnen und Soldaten im Kosovo im Einsatz. Sie wurde schrittweise wegen der verbesserten Sicherheitslage reduziert und umfasste im Oktober 2011 – nach 12 Jahren - noch 6.240 Soldatinnen und Soldaten aus 22 NATO und acht Nicht-NATO-Staaten.

Die Europäische Union war anfangs für den Wiederaufbau der Wirtschaft zuständig. Seit 2008 hat sie von der UNMIK die Aufgabe übernommen, die kosovarischen Behörden bei der Entwicklung von Polizei, Gerichtswesen und Zoll zu unterstützen. Die dafür gebildete EULEX-Mission ist die größte jemals von der EU geleitete zivile Friedensmission. Im September 2011 bestand sie aus etwa 1.000 Polizisten und 1.600 internationalen Zivilisten aus fast allen EU- und einigen anderen Staaten.

Die OSZE Mission im Kosovo ist seit 1999 für den Wiederaufbau staatlicher Institutionen und die Demokratisierung zuständig. Im September 2011 hatte sie 162 internationale Zivilisten im Einsatz und ist damit die umfangreichste OSZE-Mission.

Bilanz der Kosovo-Missionen

Das Ergebnis der nach dem Ende des NATO-Bombenkrieges gegen Jugoslawien begonnenen vielfältigen internationalen Friedensmissionen im Kosovo ist bestenfalls als durchwachsen zu bewerten. Die Übernahme der Verwaltung im Kosovo durch die UNMIK und der Sicherheit durch die NATO geführte KFOR hat 1999 die Rückführung kosovo-albanischer Flüchtlinge ermöglicht und die Gewalt Serbiens gegen Kosovo-Albaner beendet. Allerdings fielen allein in den ersten zwei Jahren etwa 1.000 Serben und Roma zum Teil organisierten Racheaktionen zum Opfer. Mehr als 100.000 Serben und Angehörige anderer Minderheiten mussten fliehen, obwohl sich der Kosovo unter der Hoheit von Vereinten Nationen und dem Schutz der NATO-Truppen befand.

Es gelang staatliche Institutionen aufzubauen und faire demokratische Wahlen durchzuführen. Allerdings beteiligte sich ein großer Teil der serbischen Minderheit nicht daran. Das Grundproblem des ethnisch begründeten Konflikts konnte nicht gelöst werden. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Jahre 2008 wurde zwar von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vehement unterstützt, von der serbischen Minderheit jedoch ebenso heftig abgelehnt. Diese fühlt sich nach wie vor dem serbischen Staat zugehörig.

Der neue Staat, die Republik Kosovo, kam ohne Zustimmung der Vereinten Nationen zustande. Er ist inzwischen von 85 Staaten der Welt – darunter der Mehrheit der EU-Staaten – anerkannt. Serbien und viele andere Staaten lehnen die Unabhängigkeitserklärung als völkerrechtswidrige Sezession ab. Darunter sind auch Staaten der Europäischen Union wie Spanien, Rumänien und Griechenland.

Der Kosovo ist auch nach der Unabhängigkeitserklärung noch kein souveräner Staat, sondern befindet sich im Stadium einer international durch UN und EU „überwachten Unabhängigkeit“. Insbesondere im Nord-Kosovo, wo überwiegend Serben wohnen, hat der neue Staat keine Hoheitsgewalt. Wiederholt kam es dort zu gewalttätigen Ausschreitungen. 2004 attackierten militante Kosovo-Albaner nicht nur die serbische Minderheit, sondern auch die UNMIK.

Weitere Probleme sind die hohe Arbeitslosigkeit (über 45 Prozent ) sowie die weit verbreitete Korruption und die organisierte Kriminalität im Kosovo, in die auch Regierungsmitglieder verstrickt sein sollen. Insofern ist der Kosovo ein Beispiel dafür, die langwierig und wie schwierig es ist, über externe Akteure Nationenbildung zu betreiben.

__Namen der Missionen:

  • Interimsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (engl.: United Nations Interim Administration in Kosovo, UNMIK)
  • Kosovo-Truppe (engl.: Kosovo-Force, KFOR); NATO geführte Sicherungstruppe
  • Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo (engl.: European Rule of Law Mission in Kosovo, EULEX Kosovo)
  • OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)-Mission im Kosovo

__Dauer der Missionen:

  • UNMIK: seit dem 10. Juni 1999
  • KFOR: seit dem 10. Juni 1999
  • OSZE Mission im Kosovo: seit dem 1. Juli 1999
  • EULEX Kosovo: seit dem 4. Februar 2008

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 11/2011


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