Gemeinsamer Standpunkt der Europäischen Union (EU) für Rüstungsexporte

Im Jahr 1998 einigten sich die Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU) auf einen Verhaltenskodex, der Entscheidungen von Einzelstaaten über Rüstungsexporte anleiten sollte. Ziel dieses Regelwerks war die Harmonisierung der europäischen Rüstungsexportpolitik im Rahmen einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Eingeführt wurde eine Gemeinsame Militärgüterliste, die stetig aktualisiert wird und festlegt, welche Exporte als Rüstungsausfuhren gelten und damit genehmigungspflichtig sind. Zudem einigten sich die Mitgliedsstaaten auf eine Reihe von einheitlichen Kriterien, die im Genehmigungsverfahren – also bei der Entscheidung über die Bewilligung oder Ablehnung von Exportanträgen – berücksichtigt werden sollten.

Die Angleichung der jeweiligen Genehmigungspraxis in den einzelnen EU-Staaten sollte darüber hinaus durch eine erhöhte Transparenz der Entscheidungsprozesse unterstützt werden. Seit 1998 legt deshalb jedes Mitglied die bewilligten Rüstungsexporte aus seinem Territorium in einem jährlichen Bericht offen. Die Ausführlichkeit dieser Berichte variiert von Land zu Land. In der Regel werden dabei das finanzielle Volumen der erteilten Ausfuhrgenehmigungen, die exportierten Waffen- bzw. Rüstungstypen sowie die jeweiligen Empfängerländer angezeigt. Eine Zusammenfassung aller nationalen Berichte wird von der EU-Ratsarbeitsgruppe „Ausfuhr konventioneller Waffen“ (COARM) regelmäßig veröffentlicht.

Am 8. Dezember 2008 hat der Rat der Europäischen Union den Verhaltenskodex in einen Gemeinsamen Standpunkt für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern überführt. Die übergeordnete Zielsetzung und inhaltliche Ausgestaltung blieb dabei im Kern gleich. Das Bekenntnis zur Vereinheitlichung europäischer Rüstungsexportpolitik erfuhr dabei eine zumindest symbolische Aufwertung. Des Weiteren sind die Mitgliedsstaaten nun dazu angehalten, die Bestimmungen des Standpunkts in ihre nationale Gesetzgebung zu überführen und somit Rechtsverbindlichkeit zu schaffen.

Die EU-Staaten betonen am Anfang des Gemeinsamen Standpunkts ihre besondere Verantwortung gegenüber der Einhaltung und Förderung der internationalen Sicherheit und des Friedens. Dies schlägt sich insbesondere in den acht Kriterien nieder, die bei der Erteilung von Exportgenehmigungen berücksichtigt werden sollen. Unter anderem werden darin die Einhaltung der Menschenrechte, die Bewahrung sowohl interner als auch regionaler Stabilität sowie die Verträglichkeit von Rüstungsausgaben und Entwicklung im Empfängerland hervorgehoben (siehe Auflistung der Kriterien im Wortlaut am Ende).

Ungeachtet dessen führen die angestrebte Harmonisierung und größere Transparenz der einzelnen Genehmigungsverfahren keineswegs zwangsläufig zu einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik. Die Präambel des Gemeinsamen Standpunkts weist selbst darauf hin, dass auch die europäische Rüstungsindustrie gefördert werden soll. Tatsächlich begrüßen große Teile der Industrie die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen auf dem europäischen Rüstungsmarkt, zu denen der Gemeinsame Standpunkt ja auch beiträgt.

Obwohl die COARM-Arbeitsgruppe einen Anwenderleitfaden für den Gemeinsamen Standpunkt erarbeitet hat, bleibt der Interpretationsspielraum bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Kriterium im Einzelfall erfüllt ist oder nicht, oft sehr groß. So verweist z.B. die Arbeitsgruppe „Rüstungsexport“ der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) regelmäßig auf deutsche Rüstungsexporte, die den EU-Kriterien aus ihrer Sicht zuwiderlaufen. Auch ein direkter Vergleich der tatsächlichen Genehmigungspraxis in einzelnen EU-Staaten zeigt noch immer Unterschiede zwischen den Mitgliedern.

Kritiker heben auch hervor, dass nur der Transfer von materiellen Rüstungsgütern in der dem Gemeinsamen Standpunkt zugrunde liegenden Ausfuhrliste erfasst wird. Im Unterschied zu den Exportbestimmungen wie sie z.B. in den Vereinigten Staaten gelten, wird der grenzüberschreitende Handel mit militärischen oder militär-relevanten Dienstleistungen nicht berücksichtigt. Für eine private Sicherheitsfirma, die aus einem EU-Staat bewaffnete Dienste in ein ausländisches Konfliktgebiet verkauft, gilt der Gemeinsame Standpunkt also nicht.

Die acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts im Wortlaut

Kriterium 1: Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten, insbesondere der vom UN-Sicherheitsrat oder der Europäischen Union verhängten Sanktionen, der Übereinkünfte zur Nichtverbreitung und anderen Themen sowie sonstiger internationaler Verpflichtungen

Kriterium 2: Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland

Kriterium 3: Innere Lage im Endbestimmungsland als Ergebnis von Spannungen oder bewaffneten Konflikten

Kriterium 4: Aufrechterhaltung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region

Kriterium 5: Nationale Sicherheit der Mitgliedsstaaten und der Gebiete, deren Außenbeziehungen in die Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats fallen, sowie nationale Sicherheit befreundeter und verbündeter Länder

Kriterium 6: Verhalten des Käuferlandes gegenüber der internationalen Gemeinschaft unter besonderer Berücksichtigung seiner Haltung zum Terrorismus, der Art der von ihm eingegangenen Bündnisse und der Einhaltung des Völkerrechts

Kriterium 7: Risiko der Abzweigung von Militärtechnologie oder Militärgütern im Käuferland oder der Wiederausfuhr von Militärgütern unter unerwünschten Bedingungen

Kriterium 8: Vereinbarkeit der Ausfuhr von Militärtechnologie oder Militärgütern mit der technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Empfängerlandes, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Staaten bei der Erfüllung ihrer legitimen Sicherheits- und Verteidigungsbedürfnisse möglichst wenige Arbeitskräfte und wirtschaftliche Ressourcen für die Rüstung einsetzen sollten

Quellen und weiterführende Informationen:

BICC 09/2011


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