Kriegsdefinitionen und Konflikttypologien

Kriegsdefinitionen

Wissenschaftliche Kriegsdefinitionen lassen sich in quantitative und qualitative Ansätze einteilen. Bei quantitativen Definitionen muss die Zahl der direkten oder indirekten Todesopfer gewaltsamer Auseinandersetzungen einen bestimmten Schwellenwert überschreiten – erst dann kann man von einem „Krieg“ sprechen. Der wohl bekannteste und einflussreichste Ansatz wurde von David Singer und Melvin Small im Rahmen des „Correlates of War“ (COW) Projekts an der Universität Michigan entwickelt, welches das weltweite Kriegsgeschehen seit 1816 statistisch zu erfassen versucht. Demnach gilt als Krieg jeder gewaltsame Konflikt mit mindestens 1.000 getöteten Kombattanten pro Jahr. Um Völkermorde und sporadische Massaker von der Definition auszuschließen, müssen sich zudem beide Konfliktparteien zum Zwecke der kollektiven Gewaltanwendung organisiert bzw. die zahlenmäßig unterlegene Seite im Laufe des Kampfgeschehens mindestens fünf Prozent der eigenen Verluste dem Gegner zugefügt haben.

Die COW-Definition ist nicht unumstritten. Der Historiker Spencer R. Weart benutzt z.B. das Kriterium von insgesamt 200 getöteten Soldaten pro Jahr, um einen Gewaltkonflikt als Krieg zu klassifizieren. Ted Gurr und Barbara Harff arbeiten in ihrer Datenbank zu Staatszerfallsprozessen mit einem Schwellenwert von 100 Toten, fügen aber als zusätzliches Kriterium hinzu, dass jede Konfliktpartei mindestens 1.000 Kombattanten aufweisen müsse.

Wiederum andere Studien verweisen auf die Probleme, die sich aus der Bezugnahme auf eine absolute Zahl als Schwellenwert ergeben. So ist damit zu rechnen, dass die Anzahl von Todesopfern gewaltsamer Konflikte abhängig von der Größe der betroffenen bzw. beteiligten Population sehr unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt wird. Einige Wissenschaftler schlagen deshalb zum Beispiel vor, nicht die absolute Zahl der Toten, sondern deren Anteil an den Einwohnern des betroffenen Landes als kritischen Richtwert zu nehmen.

Die meisten quantitativen Ansätze haben sich jedoch bisher nicht gegen die Popularität des von Small und Singer vorgegebenen Schwellenwerts von 1.000 toten Soldaten durchsetzen können. Eine nähere Differenzierung bzw. Weiterentwicklung der im COW gebrauchten Definition bietet die Konfliktdatenbank an der Universität Uppsala in Schweden. Sie beschränkt sich nicht allein auf die Verluste regulärer Streitkräfte, sondern schließt auch zivile Todesopfer direkter physischer Gewalt mit ein. Dabei weist sie gewaltsamen Konflikten drei verschiedene Intensitätsstufen zu. Folgt die Definition des „Krieges“ noch dem COW Ansatz von mehr als 1.000 Toten pro Jahr, so wird zusätzlich zwischen „kleinen bewaffneten Konflikten“ (mindestens 25 Todesopfer pro Jahr, aber weniger als 1.000 Tote im gesamten Konflikt) und „mittleren bewaffneten Konflikten“ (mehr als 1.000 Todesopfer im gesamten Konflikt, aber weniger als 1.000 Tote in jedem einzelnen Jahr) unterschieden (siehe auch Kartenlayer Anzahl Kriegsopfer). Diese quantitative Differenzierung verschiedener Intensitätsstufen ist insofern nützlich, als sie gewaltsame Konflikte auch unterhalb der Schwelle „Krieg“ berücksichtigt.

Eine auf empirisch verifizierbare Kriterien (Opferzahlen) beruhende Kriegsdefinition hat methodische Vorteile für die statistisch-komparative Analyse von Gewaltkonflikten, vor allem über große historische Zeiträume. Aber auch sie ist alles andere als unproblematisch. Präzise Daten zu Kriegsopfern sind meist äußerst schwer zu erhalten, da sie von den Konfliktparteien oftmals verfälscht werden. Ebenso ist schwer nachvollziehbar, warum die Schwelle der COW-Definition bei genau 1.000 Kriegstoten festgelegt ist, ein Gewaltkonflikt mit 999 Todesopfern im Jahr also nicht als Krieg gelten könnte. Diese Willkür erscheint umso problematischer, soll ein Krieg bzw. der Destruktionsgrad eines gewaltsamen Konflikts allein anhand der Todesopfer unmittelbarer physischer Gewalt erkannt werden. So werden weder soziale, wirtschaftliche und kulturelle Auswirkungen kriegerischer Auseinandersetzungen, noch die Opfer von zum Beispiel Seuchen oder Hungersnöten als direkte Folge vom Krieg zerstörter Infrastruktur berücksichtigt.

Schließlich bleibt fraglich, ob ein Krieg überhaupt einzig über seine direkten Auswirkungen definiert werden sollte und nicht über dessen Charakteristika, Ursachenmuster bzw. funktionale Logik. Dieser Aspekt ist in qualitativen Kriegsdefinitionen in der Regel stärker ausgeprägt. Eine solche wird zum Beispiel von der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg gebraucht. In Anlehnung an eine Definition des ungarischen Friedensforschers István Kende (1917 bis 1988) ist ein „Krieg“ demnach ein „gewaltsamer Massenkonflikt“, der folgende Merkmale aufweist:

  1. „an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär, paramilitärische Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt;
  2. auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organisation der Kriegführenden und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als organisierte bewaffnete Verteidigung oder planmäßige Überfälle (Guerillaoperationen, Partisanenkrieg usw.);
  3. die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuität und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammenstöße, d.h. beide Seiten operieren nach einer planmäßigen Strategie, gleichgültig ob die Kämpfe auf dem Gebiet einer oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern.“

Kriege werden zudem von „bewaffneten Konflikten“ unterschieden. Hierbei handelt es sich um „gewaltsame Auseinandersetzungen [...], bei denen die Kriterien der Kriegsdefinition nicht in vollem Umfang erfüllt sind.“

Die qualitative Definition des Krieges als die kontinuierliche und systematische Anwendung kollektiver physischer Gewalt zwischen mindestens zwei organisierten Gruppen bietet aufgrund ihrer vergleichsweise großen Offenheit gegenüber quantitativen Ansätzen den Vorteil, dass nicht die exogenen Folgen, sondern vielmehr die innere Logik gewaltsamen Handelns in den Vordergrund der Analyse gestellt wird. Dennoch weist auch die von der AKUF favorisierte Definition einige Schwachstellen auf. Zum einen bleibt sie aufgrund des ersten Ausschlusskriteriums einer staatszentrierten Perspektive verhaftet. Die derzeitige Entgrenzung des Krieges, wie sie sich in der kollektiven Gewaltanwendung jenseits eines staatlichen Akteursradius von Innen und Außen manifestiert, wird somit nicht erfasst. Zum anderen wird der Krieg – genau wie in den quantitativen Definitionen – als ein bestimmbarer status quo begriffen. Obgleich keine klaren Kriterien für eine analytisch sinnvolle Differenzierung zwischen „Kriegen“ und „bewaffneten Konflikten“ gegeben werden, suggeriert die von Kende abgeleitete Definition somit den Eindruck, es handle sich beim Phänomen Krieg um einen klar unterscheidbaren Aggregatzustand gesellschaftlicher Interaktion.

Kriegstypologien

Wie können verschiedene Kriegstypen voneinander unterschieden werden? In der Literatur finden sich mindestens zwei Möglichkeiten der Typologisierung.

Ein erster Ansatz zieht den Konfliktgegenstand bzw. die Zielsetzung der Konfliktparteien als Unterscheidungskriterium heran. So differenziert zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg unter anderem zwischen „Antiregime-Kriegen“ („Kriege, in denen es um den Sturz der Regierenden oder um die Veränderung oder den Erhalt des politischen Systems […] gekämpft wird“), „Autonomie- und Sezessionskriegen“ („Kriege, in denen um größere regionale Autonomie innerhalb des Staatsverbandes oder um Sezession vom Staatsverband gekämpft wird“) und „Dekolonisationskriegen“ („Kriege, in denen um die Befreiung von Kolonialherrschaft gekämpft wird“). An anderer Stelle werden „ethnische Kriege“ von politisch motivierten „revolutionären“ Kriegen abgegrenzt.

Derartige Typologisierungen sind insofern problematisch, als sich innerhalb eines einzigen Gewaltkonflikts oft mehrere Ursachenmuster überlappen. Darüber hinaus tendieren die Kriegsziele beteiligter Akteure im Laufe der Kampfhandlungen dazu, sich zu verändern.

Ein zweiter Ansatz unterscheidet Gewaltkonflikte daher nicht mit Bezug zu Ursachen und Zielen, sondern aufgrund des politischen Status bzw. der Vergesellschaftungsform der beteiligten Akteure. Meist geht es darum, ob die Konfliktparteien entweder staatlich oder nicht staatlich sind. Bis Ende der 1990er Jahre wurden dabei nur jene Kriege klassifiziert, die auf mindestens einer Seite einen staatlichen Akteur aufweisen konnten. Folglich ergibt sich zunächst eine Unterscheidung zwischen zwei grundsätzlichen Kriegstypen:

  • symmetrische zwischenstaatliche Kriege, also Gewaltkonflikte, die zwischen zwei Staaten ausgetragen werden;
  • asymmetrische Kriege zwischen einer staatlichen und einer nicht staatlichen Partei.

Dieser zweite Typ asymmetrischer Kriege lässt sich in zwei weitere Unterkategorien unterteilen, nämlich in

  • innerstaatliche Gewaltkonflikte, also Kriege zwischen einem nicht staatlichen Akteur und einem Staat innerhalb bestehender Staatsgrenzen;
  • extrastaatliche oder extrasystemische Gewaltkonflikte zwischen einem nicht staatlichen und einem staatlichen Akteur außerhalb bestehender Staatsgrenzen (wie beispielsweise in dem Krieg der westlichen NATO-Staaten gegen die Taliban in Afghanistan).

Diesem Ansatz folgt beispielsweise auch das Uppsala Conflict Data Program, dass in seiner Konfliktdatenbank neben außerstaatlichen/extrasystemischen, zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Gewaltkonflikten zusätzlich noch internationalisierte innerstaatliche Konflikte unterscheidet, d.h. Konflikte zwischen einem Staat, unterstützt durch Hilfe anderer Staaten, gegen einen nicht staatlichen Akteur innerhalb bestehender Grenzen (siehe auch Kartenlayer Kriege und Gewaltkonflikte).

Dieser zweite Konflikttypisierungsansatz bedarf aber noch einer Ergänzung. Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, warum auf mindestens einer Seite des Konfliktgeschehens ein staatlicher Akteur vorausgesetzt werden muss. Zwar spielt der Staat zweifellos noch eine wichtige, wenn nicht gar die zentrale Rolle in der weltweiten Organisation und Durchsetzung von Gewalt. Die beschriebene Entgrenzung vieler Gewaltkonflikte der Gegenwart zeigt sich jedoch am deutlichsten in jenen Auseinandersetzungen, die auf beiden Seiten einen nicht staatlichen Akteur aufweisen. Der deutsche Politologe Sven Chojnacki fasst diese Gewaltkonflikte zu der Gruppe der „substaatlichen Kriege“ zusammen, welche die anderen Kriegstypen ergänzt. Insgesamt ergeben sich nach Chojnacki somit vier „Kerntypen kriegerischer Gewalt:

  • Zwischenstaatliche Gewaltkonflikte (zwischen zwei oder mehr Staaten)
  • Innerstaatliche Gewaltkonflikte (zwischen staatlichen und nicht staatlichen Akteuren innerhalb bestehender Grenzen
  • Extrastaatliche Gewaltkonflikte (zwischen staatlichen und nicht staatlichen Akteuren jenseits bestehender Grenzen)
  • Substaatliche Gewaltkonflikte (zwischen nicht staatlichen Akteuren unabhängig von bestehenden Grenzen).

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 09/2011


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