Ursachenkomplexe gewaltsamer Konflikte

Warum werden Kriege eigentlich geführt? Viele Menschen sind schnell bei der Hand irgendein angebliches Grundübel zu identifizieren, das ganz allein für alle Gewaltkonflikte der Gegenwart und der Vergangenheit verantwortlich ist – sei es die Religion, der Kapitalismus oder die angeblich streitlustige, bösartige und habgierige Natur des Menschen. Derartig verkürzte Aussagen werden der Komplexität der Sache meist nicht gerecht. Denn eine einfache Antwort auf die Frage nach der Ursache von Kriegen gibt es nicht. Gewaltkonflikte können viele Gründe haben. Wahrscheinlich gab es in der Geschichte der Menschheit noch keinen einzigen Krieg, der sich auf nur eine einzige Ursache zurückführen ließ. Die Faktoren, welche eine Gruppe plötzlich dazu veranlassen, ihre Ziele mittels direkter Gewalt gegen eine andere Gruppe durchzusetzen, sind sowohl vielfältig als auch vielschichtig.

Um diese Beobachtung zu untermauern hat das BICC eine übersichtliche Matrix entwickelt, die die verschiedenen Überlegungen und Thesen zu Kriegsursachen systematisch anordnet. Die Matrix beruht auf einem qualitativen Kriegsverständnis, das die kollektive Anwendung physischer Gewalt als Prozess begreift. Kausale Erklärungen für den Ausbruch von Kriegen werden demnach ihrem Inhalt nach einer logischen Stufenfolge unterschiedlicher Ursachenkategorien zugeordnet.

Angelehnt an das Konzept einer „Grammatik des Krieges“, wie es von der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg erstellt worden ist, unterscheidet die vertikale Achse der Konfliktmatrix zwischen insgesamt fünf Ursachenkategorien:

  1. Struktureller Widerspruch. Die Annahme ist, dass jedem Krieg ein objektiv zu konstatierender gesellschaftlicher Widerspruch zugrunde liegt. Der genaue Inhalt dieses manchmal als „Hintergrundursache“ oder root causes bezeichneten Widerspruchs bleibt dabei offen, er könnte also z.B. kultureller, ökonomischer oder politischer Natur sein.
  2. Motivationen und Ziele. Auf dieser Ebene werden gegebene Unterschiede von betroffenen Akteuren wahrgenommen, interpretiert und bewertet. Es geht hier also weniger um die objektive Struktur, als vielmehr um die subjektiven Zielsetzungen der in dieser Struktur verankerten Parteien. In der Konfliktforschung wird in diesem Zusammenhang häufig von „Motivationsstrategien“ gesprochen.
  3. Katalysatoren vor Ausbruch der Gewalt. Kriege setzen, laut AKUF, den „Umschlag der gesellschaftlichen Verhältnisse in Verhalten“ voraus. Die subjektive Interpretation des tatsächlichen Widerspruchs manifestiert sich hier im konkreten Handeln der betroffenen Akteure. Für sich allein genommen können nämlich weder Hintergrundursachen noch Mobilisierungsstrategien den Übergang von friedlichen zu gewalttätigen Konfliktlösungsmustern erklären. Es bedarf vielmehr eine Reihe von Katalysatoren, welche die Konfliktparteien dazu veranlassen, einen „zivilisatorischen Bruch“ zu verüben, also in großem Umfang Gewaltmittel einzusetzen.
  4. Auslöser. Der genaue Zeitpunkt des Gewaltausbruchs wird oft durch ein sogenanntes Auslöserereignis (trigger event) bestimmt. Dieses Ereignis kann unmittelbar mit den Hintergrundursachen zusammenhängen. Es kann aber auch völlig losgelöst davon sein.
  5. Katalysatoren nach Ausbruch der Gewalt. Ist der Krieg erst einmal ausgebrochen, können Ausmaß und Intensität der Gewaltanwendung durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden – seien es die Ressourcen und Waffen, welche den Kriegsparteien zur Verfügung stehen, oder zum Beispiel auch die Wetterverhältnisse.

Die horizontale Achse der Konfliktmatrix beschreibt fünf funktionale Dimensionen – Politik; Ökonomie und Demographie; Kultur; Militär/Sicherheit; Umwelt –, die in jeder der fünf zuvor beschriebenen Ursachenkategorien zum Tragen kommen.

In der Matrix geht es nicht um eine Fall übergreifende Auflösung der teils müßigen Debatten darüber, ob nun Ressourcenreichtum oder -knappheit, Gier oder Groll, Ethnizität oder Klassen die wichtigste Rolle spielen. Ziel ist es vielmehr, unterschiedliche Erklärungsansätze in ein Gesamtmodell zu integrieren, das hinsichtlich der variierenden Relevanz einzelner Konfliktdimensionen auf konkrete Einzelfälle zugeschnitten werden kann. Die Matrix favorisiert also nicht eine Dimension vor der anderen. Kriege werden folglich nicht auf eine bestimmte Ursache reduziert; stattdessen wird die Ergründung möglicher Ursachen so offen wie möglich gehalten.

Insgesamt ergibt die BICC Konfliktmatrix 25 Ursachenkomplexe gewaltsamen Handelns. Natürlich ist nicht jeder dieser Komplexe in jedem Gewaltkonflikt gleich wichtig. Die Relevanz der einzelnen Komplexe wird sich von Krieg zu Krieg unterscheiden. Das heißt: jeder Gewaltkonflikt beruht auf seiner ganz eigenen „Karte“ des Zusammenspiels unterschiedlicher Ursachenkomplexe.

Quellen und weiterführende Informationen:

Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg

BICC 09/2011


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