Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten

Sexuelle Gewalt hat in bewaffneten Konflikten ein fast epidemisches Ausmaß angenommen. Konflikte der letzten zehn Jahre zeugen davon, dass sexuelle Gewalt im Krieg innerhalb der Streitkräfte (d.h. des staatlichen Militärs) ebenso wie innerhalb von nicht staatlichen bewaffneten Gruppen von einem Mantel des Schweigens verdeckt wird. Dies gilt oft auch für sexuelle Gewalt in der Nachkriegszeit und deren Straflosigkeit.

Sexuelle Gewalt wurde aber auch vorsätzlich und systematisch als Methode der Kriegsführung eingesetzt. Vergewaltigungen in den Kriegen in Bosnien und Herzegowina sowie in Ruanda haben dazu geführt, dass sie als „Kriegswaffe“ beschrieben und aus diesem Grund international geächtet werden. Die UN-Resolution 1820 vom Juni 2008 fordert einen sofortigen Stopp jeglicher sexueller Gewalt als Methode zur Kriegsführung.

Was ist Kriegsvergewaltigung?

Kriegsvergewaltigungen und der Einsatz von Vergewaltigung als Waffe sind kein neues Phänomen. Im 2. Weltkrieg wurden z.B. von allen kriegführenden Parteien sowohl Zivilbevölkerung als auch Mitglieder der gegnerischen Armee oder bewaffneten Gruppe vergewaltigt. Frauen wie Männer wurden und werden im Krieg vergewaltigt, obwohl über die Vergewaltigung von Frauen mehr in den Medien oder der Literatur berichtet wird.

Seit dem 2. Weltkrieg kam es in Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten, Asien, Amerika und Europa zu Kriegsvergewaltigungen. Viele Dokumente haben Daten zu verschiedenen Kriegen in der ganzen Welt veröffentlicht. Dennoch sollte betont werden, dass keine genauen Statistiken darüber vorliegen.

Vergewaltigung kann als ein Akt definiert werden, der:

  • ein Eindringen in den Mund, Scheide oder Anus durch ein Objekt oder ein Körperteil beinhaltet;
  • erzwungen oder nicht einvernehmlich geschieht. (Diese Definition von Vergewaltigung beruht größtenteils auf der Definition des Rom Statuts, das 1998 von dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in „Elements of Crimes, Article 7 Crimes Against Humanity, 7 (1) (g)-1, Crime against humanity of rape“ definiert wurde.)

Kriegsvergewaltigung beinhaltet zwei Komponenten:

  • die physische Vergewaltigung an sich (d.h. erzwungenes Eindringen) wie oben definiert, die von einem Mitglied einer bewaffneten Gruppe während eines Krieges begangen wird; und
  • unzählige Kriegsdynamiken, in denen die Vergewaltigung geschieht und die sie beeinflussen.

Mit anderen Worten ist Kriegsvergewaltigung mehr als der Akt des erzwungenen Eindringens. Es hängt maßgeblich von den verschiedenen Kriegsdynamiken ab, wer wen vergewaltigt, aus welchem Grund, auf welche Art, wo und wann. Einbezogen werden müssen:

  • Art des Konflikts: Ist ein Konflikt intern oder international? Was war sein Zweck (Sezession, Kontrolle über Rohstoffe etc.)? In welchem Maße die Art des Konflikts die Folgen der Vergewaltigung bestimmt, ist dabei ohne weiterführende Analyse nicht zu ermessen.
    • Merkmale bewaffneter Gruppen, die Vergewaltigungen begehen: U.a. bezieht dies die Struktur der bewaffneten Gruppe (gibt es einen klare Hierarchie, Berichterstattungsstruktur und eine funktionierende Befehlskette?), die Gruppendynamik (sind die Soldaten diszipliniert?), Alkohol bzw. Drogenmissbrauch und Vergewaltigungsdynamiken innerhalb der Gruppe (gibt es feste Regeln innerhalb der Gruppe, die Vergewaltigung betreffen, und wenn dies so ist, werden sie auch durchgesetzt?) ein.
    • Motive für Kriegsvergewaltigung: Was sind die Gründe dafür, dass sowohl auf individueller als auch Gruppenebene vergewaltigt wird? Vergewaltigen Einzelne durch Gruppenzwang, als Zeichen der Solidarität mit der Gruppe, aus persönlichen Gründen, so z.B. sexuellem oder Verlangen nach Machtausübung, oder weil ihnen dies befohlen wurde?
    • Merkmale des Vergewaltigers (sowohl männliche wie weibliche Täter): Welcher Hintergrund veranlasst z.B. einen Menschen, im Krieg zu vergewaltigen? Dies bezieht sich in diesem Kontext nicht auf psychologische Faktoren, sondern auf die Begleitumstände und Gründe, wegen derer eine Person einer bestimmten bewaffneten Gruppe beitritt, auf ihren Bildungsgrad, religiöse und/oder politische Überzeugungen, Familienstand sowie Drogen- oder Alkoholmissbrauch vor der Vergewaltigung.
    • Merkmale der vergewaltigten Person: Hintergrundinformationen über vergewaltigte Personen, wie Geschlecht, Alter, Volkszugehörigkeit, religiöse Überzeugungen, Beruf, Bildungsgrad und die Merkmale ihrer Vergewaltigung (d.h. durch wen, wo, wie oft, auf welche Weise, Zeugen anderer Vergewaltigungen etc.) wie auch die physischen Folgen der Vergewaltigung (körperliche Verletzungen, Schwangerschaft etc.). Durch diese Variablen wird versucht, die Erfahrungen weiblicher wie auch männlicher Opfer von Vergewaltigungen einzubeziehen. Auf diese Weise sollen auch mögliche Faktoren herauskristallisiert werden, die mit der Fähigkeit des Einzelnen zusammenhängen, langfristig dieses Erlebnis zu verarbeiten.
  • Merkmale der Vergewaltigung: Art und Weise, auf die eine Vergewaltigung begangen wird, und die Brutalität der Vergewaltigung. Variablen, wie Ort (öffentliche Plätze, Privatwohnungen/-häuser, bestimmte Räumlichkeiten etc.), Häufigkeit der Vergewaltigung (vor, während oder nach einem militärischen Einsatz), Vergewaltigung durch Waffen oder Objekte, die Anzahl der Angreifer, Häufigkeit und die Rolle anderer Arten von Gewalt während der Vergewaltigung.

Weltweite Reaktionen auf Kriegsvergewaltigungen

Die internationale Gemeinschaft hat verschiedene Schritte zur Bekämpfung von Kriegsvergewaltigungen unternommen. So hat, wie bereits oben erwähnt, der UN-Sicherheitsrat 2008 die Resolution 1820 verabschiedet, die zum ersten Mal sexuelle Gewalt gegen Zivilpersonen an sich als Sicherheitsproblem anerkennt. Im Jahr 2009 folgte die Resolution 1888, die für einen Zeitraum von zwei Jahren einen UN-Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in Konflikten ernannte. 2010 schließlich forderte die Resolution 1960 den UN-Generalsekretär dazu auf, im Jahresbericht die Gruppen aufzuzählen, bei denen sexuelle Gewalt gegen Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten bekannt ist.

Betont werden sollte aber, dass weder jede Kriegsvergewaltigung gleichzeitig auch „Kriegswaffe“ ist, noch dass sie sich immer gegen die Zivilbevölkerung richtet. Kriegsvergewaltigungen geschehen auch in den Reihen von Streitkräften oder bewaffneten Gruppen. Diese Fälle verdienen die gleiche Aufmerksamkeit und Ahndung wie andere Vergewaltigungen.

Ein Verständnis der oben genannten Kriegsdynamiken, möglicher Wechselwirkungen und vor allem des sozialen Kontextes müssen in die konkreten Reaktionen auf Kriegsvergewaltigungen in Konfliktsituationen einfließen. Zum sozialen Kontext gehören u.a. die legalen und kulturellen Normen, Praktiken, Haltungen und Anschauungen zu Vergewaltigung aber auch Sexualität, Männlichkeit und Geschlechterrollen. All dies kann zu unterschiedlichen länder- oder gemeinschaftsspezifischen bzw. auch ganz individuellen Konsequenzen von Kriegsvergewaltigungen führen. Ebenso wie die Resolutionen 1820, 1888 und 1960des UN-Sicherheitsrates sollten sie bei der Entwicklung und Umsetzung von effektiven Maßnahmen berücksichtigt werden.

Bislang hat sich die Auseinandersetzung mit Kriegsvergewaltigungen auf die vergewaltigten Personen beschränkt. Doch es wird nicht möglich sein, Antworten zu finden, ohne auch die Täter ins Visier zu nehmen. Bis zu welchem Grad Kämpfer bereitwillige Vergewaltiger sind, ist ebenso unbekannt, wie die persönlichen Konsequenzen ihrer Tat für sie. Auch diese Aspekte zu verstehen hätte wichtige Auswirkungen darauf, wie diese Form der Gewalt in Zukunft zu stoppen und zu verhindern ist.

Quellen und weiterführende Informationen:

BICC 09/2011


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