Fallstudie – Die Proliferationsgefahr: Beispiel Nordkorea

Im April 2012 wurde in die Verfassung Nordkoreas die Formulierung aufgenommen, dass das Land „im Besitz der Atomwaffe“ sei (Nordkorea bezeichnet sich offiziell als Atommacht). 2006, 2009, 2013 und 2016 hat der autoritär regierte Staat jeweils einen Atomtest durchgeführt. Wegen der dabei aufgetretenen technischen Probleme ist jedoch bis heute unklar, ob Nordkorea tatsächlich schon die zur Zündung eines Atomsprengkopfes benötigte Technologie beherrscht.

Nordkorea besaß 2012 schätzungsweise 24 bis 42 Kilogramm an waffenfähigem Plutonium, das es in seiner nuklearen Wiederaufbereitungsanlage aus abgebrannten Kernbrennstäben separiert hat. Damit hat es waffenfähiges Material für vier bis acht (Plutonium)-Atombomben (Siegfried S. Hecker/Robert Carlin, 2012). Zusätzlich ist es im Begriff eine Urananreicherungsanlage aufzubauen. In dieser sollen laut Aussagen der nordkoreanischen Führung Kernbrennstäbe für zivile Kernkraftwerke produziert werden, die in Planung sind. Prinzipiell wäre die Urananreicherungsanlage aber auch zu Herstellung von waffenfähigem, zu 90 Prozent hoch angereichertem Uran in der Lage.

Gründe für Nordkoreas Atomwaffenstreben

Ein Grund für das Atomwaffenstreben ist die Bedrohungswahrnehmung der stalinistischen nordkoreanischen Führer seit dem Ende des Korea-Krieges 1953. Sie sahen und sehen ihr Land und ihr Regime einerseits durch Südkorea, mit dem es von 1950 bis 1953 einen blutigen Krieg geführt hat, sowie noch viel mehr durch die mit Südkorea verbündeten USA bedroht. In beiden Staaten treten bedeutende Teile der politischen Elite für einen Regimewechsel in Nordkorea ein. Die USA haben in Südkorea noch immer 30.000 Truppen stationiert. Auch gibt es keinen Friedensvertrag zwischen den USA und Nordkorea bzw. zwischen den beiden koreanischen Staaten.

Hinzu kommt die wirtschaftliche und bündnispolitische Schwäche Nordkoreas. Vor diesem Hintergrund ist Pjöngjangs Versuch, eigene Atomwaffen zu entwickeln, als „billigste Art der Abschreckung“ (Patrick Köllner) – so der deutsche Korea-Experte Patrick Köllner - gegen einen gewaltsamen Regimewechsel durch das militärisch überlegene Bündnis von Südkorea und den USA anzusehen.

Ein zweiter Grund für das Atomwaffenprogramm dürfte sein, dass Nordkorea sein atomares Potenzial als „Verhandlungsmasse“ für politische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Zugeständnisse der USA und Südkoreas einsetzen möchte. Immer wieder hat sich Nordkorea zu Verhandlungen und selbst einer Aufgabe des Nuklearprogramms bereiterklärt, falls die Bedingungen richtig seien. Gegenwärtig verfolgt die nordkoreanische Führung offensichtlich beide Optionen – Nuklearwaffen zur Abschreckung und als Verhandlungsmasse - parallel. Fraglich ist, inwieweit Pjöngjang im Gegenzug zu einem Friedensvertrag, Sicherheitsgarantien, diplomatischer Anerkennung durch die USA und wirtschaftlicher Unterstützung tatsächlich zu einem vollständigen Verzicht auf sein Nuklearwaffenprogramm bereit wäre.

Geschichte des Konfliktes

Diplomatische Bestrebungen, Nordkorea von einem Atomwaffenstreben abzuhalten begannen schon in der 1980er Jahren. Seitdem schlittert die internationale Gemeinschaft - unterbrochen von Phasen temporärer Entspannung - von Krise zu Krise. Dafür ist aber nicht die Führung in Pjöngjang allein verantwortlich.

1985 trat Nordkorea dem Atomwaffensperrvertrag bei, der den Erwerb von Atomwaffen verbietet. Inspektionen seiner nuklearen Anlagen durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) verweigerte es jedoch solange, bis die USA 1991 ihre Atomwaffen aus Südkorea abgezogen hatten. Wenig später wurde entdeckt, dass Nordkorea in Yongbyon eine Wiederaufbereitungsanlage betrieb, in der waffenfähiges Plutonium hergestellt werden konnte.

Damals erwog US-Präsident Bill Clinton einen militärischen Angriff auf Nordkorea, unterließ dies aber wegen der zehntausenden von Toten, die Gegenschläge Nordkoreas mit konventionellen Waffen auf Südkorea zur Folge gehabt hätten.

Nach Verhandlungen wurde 1994 ein Abkommen („Agreed Framework“) zwischen den USA und Nordkorea abgeschlossen. Darin verpflichtete sich Pjöngjang den Atomreaktor sowie die Wiederaufbereitungsanlage stillzulegen. Als Gegenleistung sollte es Öllieferungen sowie zwei Leichtwasserreaktoren erhalten. Nachdem George W. Bush das Amt des US-Präsidenten übernommen hatte, legte er 2002 diese Vereinbarung jedoch auf Eis, nachdem er Nordkorea der „Achse des Bösen“ zugeordnet hatte. Damit war der versprochene Bau von zwei Leichtwasserreaktoren dort hinfällig. Nordkorea begann - nach acht Jahren Pause - wieder Plutonium herzustellen. Es verwies die IAEO-Inspektoren des Landes und kündigte seine Mitgliedschaft im Atomwaffensperrvertrag.

Erneute diplomatische Bemühungen wurden durch die Haltung des damaligen US- Vizepräsidenten Dick Cheney behindert, der 2003 in Bezug auf Nordkorea erklärte: „Wir verhandeln nicht mit dem Bösen, wir besiegen es“ (Glenn Kessler, 2004).

Schließlich stimmte Nordkorea 2005 bei Sechs-Mächte-Verhandlungen mit China, Russland, Japan, den USA und Südkorea erneut einem Abkommen zur Denuklearisierung im Gegenzug zu Energielieferungen zu. Doch kurz darauf verhängte Washington Sanktionen gegen die wichtigste Außenhandelsbank Nordkoreas. Daraufhin stieg Pjöngjang aus den Verhandlungen aus und führte 2006 seinen ersten Atomtest durch. Erst nachdem die Bush-Administration die Banksanktionen wieder zurückgenommen hatte, bekannte sich Nordkorea 2007 wieder zur Denuklearisierung, stellte die Plutoniumgewinnung ein und zerstörte den Kühlturm seines Reaktors.

Doch 2009 verweigerte das inzwischen konservativ regierte Südkorea, unterstützt von den USA, die versprochenen Öllieferungen, weil es die von Nordkorea zugesagten Verifikationsmaßnahmen für unzureichend hielt. Bald darauf verhängten die USA weitere Sanktionen gegen Nordkorea, weil sie es – anders als China und Russland - für vertragswidrig hielten, dass Nordkorea einen Satelliten mittels einer Rakete ins All zu schießen versuchte. Nordkorea kündigte wieder die Denuklearisierungsvereinbarung und führte 2009 einen weiteren Atomtest sowie einige Raketentest durch.

Kurz nach dem Übergang der Macht in Pjöngjang an Kim Jong-Un, den Sohn des verstorbenen Kim Jong-Il, erklärte sich Nordkorea Anfang 2012 bereit, keine Atomtests und keine weiteren Test von Langstreckenraketen durchzuführen sowie die Anreicherung von Uran zu suspendieren und Inspektoren der IAEO wieder zur Kontrolle der Atomanlagen ins Land zu lassen. Im Gegenzug wollten die USA 240.000 Tonnen Nahrungsmittel nach Nordkorea liefern. Doch auch dieser Deal kam nicht zustande, weil Pjöngjang kurz darauf einen nicht militärischen Beobachtungssatelliten ins All zu schießen versuchte. Die Trägerrakete fiel zwar bald nach dem Start ins Wasser, doch die USA sahen dies als einen Raketentest an, der dem vereinbarten Moratorium widerspräche.

Doch nicht nur die Beziehungen zwischen Pjöngjang und Washington, sondern auch die Qualität des innerkoreanischen Verhältnisses prägten das Auf und Ab des „Nuklearpokers“ auf der koreanischen Halbinsel. Der „Sonnenschein“ (Entspannungs)-Politik der südkoreanischen Präsidenten Kim-Dae-jung (1998-2003) und Rho Moo-hyun (2003-2008) folgte die Konfrontationspolitik durch den konservativen Lee Myung-bak, dessen Amtszeit im Februar 2013 endet.

Gefahren durch das nordkoreanische Atomprogramm

Befürchtet wird, dass das nordkoreanische Atomprogramm auch Südkorea und Japan dazu animieren könnte, ihrerseits Atomwaffen herzustellen. Eine solche Proliferation von Atomwaffen würde die Stabilität in Asien erheblich beeinträchtigen. Obwohl Nordkorea atomwaffenfähiges Plutonium besitzt und an einem Sprengkopf arbeitet, haben bisher weder Südkorea noch Japan Bestrebungen unternommen, selbst Atomwaffen anzustreben. Dies wird nicht als sicherheitspolitisch notwendig angesehen, zumal sie sich auch beide unter dem Nuklearschirm der USA befinden. Zu berücksichtigen ist, dass der Verweis auf die „nordkoreanische Gefahr“ sowohl von Südkorea und Japan, vor allem aber auch von den USA „häufig überzeichnet“ wird, wie der Friedensforscher Hans-Joachim Schmidt schreibt. Ziel sei „damit verdeckt die eigene Aufrüstung gegen China zu rechtfertigen“ (Hans-Joachim Schmidt).

Lösungsmöglichkeiten

Die Strategie der Konfrontation und Isolierung Nordkoreas durch die USA – und zeitweise auch durch Südkorea - hat bisher nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht. Es ist nicht ersichtlich, dass sich daran in Zukunft etwas ändern könnte. Um dem Risiko nuklearer Proliferation in der Region wie auch konventionellen militärischen Eskalationsgefahren zu begegnen, ist eine Rückkehr zu diplomatischen Verhandlungen, z.B. im Rahmen der Sechs-Mächte-Gespräche, aber auch in bilateralen Gesprächen sowohl zwischen den USA und Nordkorea als auch zwischen Nord- und Südkorea der einzig mögliche Weg.

Dabei müsste die erklärte Bereitschaft Pjöngjangs zu Verhandlungen aufgegriffen und getestet werden, inwieweit das nordkoreanische Atomwaffenprogramm durch wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Angebote eingefroren oder gar zurückgedreht werden kann. Für eine solche auf Kooperation setzende Verhandlungsstrategie dürften sich - nach den Präsidentschaftswahlen in den USA und in Südkorea 2012 – neue Möglichkeiten eröffnen.

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 01/2013


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