Trägersysteme

Trägersysteme können je nach Stationierungsart in land-, luft- und seegestützte Systeme oder je nach Aufgabe in Luftabwehr-, See- oder Landzielwaffen untergliedert werden.

Als Trägermittel für atomare, biologische oder chemische Waffen können sehr unterschiedliche Systeme dienen: zum Beispiel Artilleriegeschütze, Raketen, Marschflugkörper, Flugzeuge, Hubschrauber oder Torpedos. Auch Kombinationen unterschiedlicher Systeme wie Flugzeuge mit Marschflugkörpern oder U-Boote mit Torpedos oder Marschflugkörpern können genutzt werden. Nicht alle Systeme eignen sich gleich gut als Träger für die verschiedenen Arten von „Massenvernichtungswaffen“. Langstreckenraketen sind beispielsweise ein äußerst unwirtschaftliches Transportmittel für Chemiewaffen und passen kaum für den Einsatz biologischer Waffen. Ein Artilleriegeschütz kann zwar chemische oder atomare Waffen im lokalen Gefecht verschießen, taugt aber nicht zum Einsatz von Atomwaffen großer Sprengkraft. Trotzdem: Alle genannten Trägermittel wurden bereits für den Einsatz von einer oder mehreren Arten von „Massenvernichtungswaffen“ genutzt. Da der militärische Nutzwert chemischer und biologischer Sprengköpfe relativ gering ist, konzentrieren sich die folgenden Betrachtungen auf die Träger atomarer Waffen.

Manche bisher nur konventionell genutzte, bewegliche Waffenplattformen können auch als Träger nuklearer Waffen eingesetzt werden, etwa ein nicht atomares U-Boot, das weitreichende seegestützte Marschflugkörper mit Atomsprengkopf mitführt. Es kann aus seiner vorgeschobenen Position Ziele in entfernten Ländern angreifen, die hunderte oder gar mehr als tausend Kilometer von der Küste entfernt sind.

Auch Drohnen, die größere Nutzlasten tragen können, haben theoretisch solche Fähigkeiten. Der technische Fortschritt wird es auch kleineren Atommächten erlauben, solche relativ preisgünstigen Trägersysteme aufzubauen.

Die Begrenzung, Reduzierung und Eliminierung von Trägersystemen stand immer wieder im Zentrum der Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge zwischen Moskau und Washington, da die Existenz oder Zerstörung von Trägersystemen leichter zu überprüfen sind als die von atomaren Sprengköpfen und Bomben. So stellten sie den Hauptansatzpunkt für alle bisherigen strategischen Rüstungskontrollbemühungen dar, die ihr Ergebnis in den SALT-, START-, SORT- und New START-Abkommen fanden. Auch der INF-Vertrag setzt bei den Trägern an. Alle Verträge enthalten detaillierte Vereinbarungen über die Begrenzung der Trägersysteme, allerdings kaum Regelungen für deren atomaren Sprengköpfe.

Seit Jahrzehnten gibt es zudem Bemühungen, die Weiterverbreitung von Trägersystemen zu erschweren oder zu verhindern. Mit dem Missile Technology Control Regime (MTCR) entstand 1987 eine Übereinkunft, mit der sich die meisten Länder, die in der Lage waren, weitreichende Trägersysteme zu bauen, freiwillig dazu verpflichteten, auf den Export von Trägersystemen (ballistische Flugkörper, Marschflugkörper, Drohnen) mit einer Reichweite von mehr als 300 Kilometern und einer Nutzlast von mehr als 500 Kilogramm zu verzichten und auch die Weitergabe von Komponenten und Herstellungstechnik für solche Träger zu unterbinden. 2002 wurde diese Vereinbarung durch den Hague Code of Conduct ergänzt, einen Verhaltenskodex, mit dem sich die mittlerweile 134 Mitgliedstaaten politisch aber nicht rechtsverbindlich dazu verpflichtet haben, der Verbreitung ballistischer Raketen entgegenzuwirken und hinsichtlich ihrer eigenen Flugkörper Transparenz zu praktizieren. Für Marschflugkörper und Drohnen gilt dieser Kodex allerdings nicht.

Trotz aller Anstrengungen, die Zahl der Länder mit Trägersystemen ausreichender Nutzlast für atomare Waffen klein zu halten, wächst die Zahl der Staaten, die über solche Systeme verfügen. Mehr als jeweils zehn Länder verfügen bereits heute über ballistische Raketen mit mehr als 300 km Reichweite und einer Tragkraft von mehr als 500 Kilo oder über vergleichbare Marschflugkörper. Weitere Länder entwickeln solche Waffen oder versuchen, deren Technologie zu erwerben.

Taktische und strategische Atomwaffen

Strategische Atomwaffen waren jene, mit denen sich die USA und die UdSSR gegenseitig und direkt mit großer Sprengkraft beschießen konnten, taktische Waffen dagegen jene, die auf Kriegsschauplätzen wie Europa oder Korea mit kleiner, mittlerer oder größerer Sprengkraft zum Einsatz kommen sollten und nicht zwangsläufig einen globalen atomaren Schlagabtausch einschließlich der USA oder der UdSSR zur Folge gehabt hätten. Im Rahmen der SALT-Verhandlungen zur Begrenzung strategischer Atomwaffen wurden solche Atomwaffen als „strategisch“ definiert, bei denen z.B. das landgestützte Trägersystem einen Atomsprengkopf über eine Distanz von 5.500 Kilometern oder mehr transportieren konnte. Erfasst wurden damals die atomaren Trägermittel der klassischen „Triade“: Schwere strategische Bomber mit atomaren Bomben oder Marschflugkörpern, landgestützte Interkontinentalraketen (ICBMs, Intercontinental Ballistic Missile) und seegestützte Langstreckenraketen an Bord von U-Booten (SLBMs, Submarine Launched Ballistic Missile).

Folgt man dieser Definition, so nutzen alle fünf klassischen Nuklearmächte bis heute strategische Trägersysteme. Die USA und Russland haben land-, see- und luftgestützte Systeme. Sie haben sich im New START-Vertrag darauf geeinigt, die Zahl ihrer strategischen Trägersysteme bis 2018 auf maximal je 800 nutzbare Träger zu beschränken und dafür künftig nicht mehr als 1.550 anzurechnende aktive Sprengköpfe vorzuhalten. China, Großbritannien und Frankreich haben jeweils deutlich weniger als 100 strategische Trägersysteme und beschränkten sich bislang auf je eine Trägerart. China ist dabei, neben ICBMs auch SLBMs zu nutzen.

Jedes strategische Trägersystem hat aus militärischer Sicht seine Vor- und Nachteile: ICBMs können in Silos oder beweglich auf LKWs stationiert werden. Sie sind in kurzer Zeit startbereit, haben kurze Flugzeiten und es gibt keine verlässliche Möglichkeit, sie abzufangen. Ihr Nachteil besteht darin, dass ihre Stationierungsorte bekannt und damit ein primäres Ziel des Gegners sind. Der Besitzer ist also versucht, seine Waffen immer in hoher Startbereitschaft zu halten und abzufeuern, bevor sie am Boden zerstört werden können. Würde das aufgrund eines Fehlalarms geschehen, so bestünde die Gefahr eines „Atomkriegs aus Versehen“. Denn eine einmal abgeschossene Rakete kann nicht mehr zurückgeholt werden.

Die strategischen Atomraketen auf U-Booten können ebenfalls schnell Ziele in fast beliebiger Entfernung mit Mehrfachsprengköpfen angreifen, wurden aber erst in den letzten Jahrzehnten so zielgenau wie ICBMs. Ihr größter Vorteil ist es, praktisch unverwundbar zu sein. Auch SLBMs können – einmal gestartet - nicht zurückgeholt werden.

Was aber war mit Atomwaffen kürzerer Reichweite, die vorgeschoben außerhalb des Territoriums der USA oder der UdSSR stationiert waren und ebenfalls das Kernland der beiden Supermächte bedrohen konnten? Waren das keine strategischen Atomwaffen? Die Kuba-Krise hat verdeutlicht, dass dies sehr ernsthaftes Problem darstellte. Die politische Debatte um die sogenannte „Nachrüstung“ warf die Frage in den 1980er Jahren erneut auf. Beide Krisen konnten politisch erst beendet werden, als beide Seiten auf solche vorgeschobenen Raketenwaffen verzichteten und sich letztlich 1987 mit dem INF-Vertrag sogar auf ein bilaterales Verbot landgestützter Waffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern einigten. Vorgeschobene stationierte Atomwaffen, die die gleichen Ziele angreifen können wie strategische Langstreckenwaffen, sind jedoch bis heute ein ernsthaftes Problem.

Betrachtet man die Unterscheidung zwischen taktischen und strategischen Nuklearwaffen unabhängig vom russisch-amerikanischen Verhältnis, so wird ihre „Künstlichkeit“ noch offensichtlicher: Im pakistanisch – indischen, indisch - chinesischen oder auch im französisch – russischen Abschreckungsverhältnis können Atomwaffen mit Reichweiten von deutlich weniger als 5.500 km sehr wohl strategische Waffen sein. Die Entfernung zwischen Islamabad und Neu-Delhi beträgt weniger als 700 km, zwischen Peking und Neu-Delhi liegen ca. 3.800 km und zwischen Paris oder London und Moskau liegen rund 2.500 km.

Russland ist dieser Problematik in besonderer Weise ausgesetzt. Es muss neben den drei westlichen auch das chinesische, das pakistanische und das indische Nuklearpotential in sein Kalkül einbeziehen. Zwischen Moskau und Islamabad liegen rund 3.650 km. Deshalb kann man also kaum davon sprechen, dass Staaten, die keine Interkontinentalwaffen besitzen, deswegen keine Atomwaffen strategischer Funktion haben. Welche Nuklearwaffen als strategisch und welche als nicht strategisch bzw. taktisch betrachtet werden, liegt auch im Auge des Betrachters.

Das heißt allerdings nicht, dass es auch keine taktischen Atomwaffen gibt. Eine Atommine, eine Luftabwehrrakete oder Kurzstreckenrakete mit Atomsprengkopf oder eine atomare Granate für Haubitzen kann man getrost als taktische oder als Gefechtsfeldwaffe bezeichnen. Während des Kalten Krieges besaßen fast alle Nuklearmächte solche Atomwaffen. Die Supermächte unterhielten weit mehr als je Zehntausend und nutzten eine Vielzahl von Trägersystemen; alle kleineren Atommächte zusammen verfügten über weniger als Tausend solche Waffen. Gegen und nach dem Ende des Kalten Krieges wurden diese Potentiale rasch und deutlich verringert. Viele Trägersysteme verloren dabei ihre bisherige nukleare Rolle.

Alle acht heutigen Nuklearmächte (sowie Nordkorea, falls es funktionsfähige Nuklearsprengköpfe besitzen sollte) verfügen bzw. verfügten über nicht strategische Nuklearwaffen. Die überwiegende Mehrheit der heute noch genutzten Waffen hat jedoch eine mittlere Reichweite – irgendwo zwischen einer typischen Gefechtsfeldwaffe und einer strategischen Waffe, die tatsächlich mehr als 5.500 km Reichweite hat. Viele dieser Waffen sind Atombomben und atomar bestückte Flugkörper für taktische Jagdbomber oder Mittelstreckenraketen, die man über variable Entfernungen von bis weit über Tausend Kilometer einsetzen kann.

Nach dem Ende des Kalten Krieges bezeichneten die NATO-Länder alle nicht strategischen russischen Atomwaffen zunächst als taktische Waffen. Damit wurde unterstellt, dass Moskau solche Waffen auch zur Kriegsführung einsetzen würde, wenn es sich davon einen militärischen Vorteil auf taktischer oder operativer Ebene verspräche oder dies eine Niederlage seiner unterlegenen konventionellen Truppen verhindern könnte. Im Gegensatz dazu bezeichnete die NATO ihre eigenen Atomwaffen als substrategische Waffen, um hervorzuheben, dass diesen Waffen eine vor allem politische Rolle im Rahmen der Abschreckung zukomme. Seit dem NATO-Gipfel 2012 werden jedoch sowohl die russischen als auch die westlichen Nuklearwaffen dieser Art wertungsneutral als nicht strategische Waffen bezeichnet.


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