Die Forschung an Kampfstoffen - Offensive Forschung, defensive Forschung
Die 1971 von den Vereinten Nationen angenommene sogenannte „Biowaffenkonvention“ geht einen entscheidenden Schritt weiter als das ein halbes Jahrhundert vorher ausgehandelte Genfer Protokoll, das den Einsatz von biologischen Kampfmitteln zu unterbinden suchte. Sie verbietet explizit auch die Forschung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen. Gleichzeitig erlaubt die VN-Konvention aber die weitere Erforschung potenziell waffentauglicher Erreger, wenn diese „durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt“ ist (Artikel I). Insofern als ein Angriff mit biologischen Waffen, vor allem durch nicht-staatliche, gewaltbereite Gruppen, nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Infotext: „Bioterrorismus – Mythos, Science Fiction oder aktuelle Bedrohung?“), ist diese Ausnahmeregelung durchaus nachvollziehbar. Viele Staaten – darunter auch Deutschland – halten es nach wie vor für geboten, Forschungsprogramme zur Abwehr von Angriffen mit Biowaffen zu unterhalten.
Die Erlaubnis, defensive bzw. friedliche Forschung an potenziellen Biokampfstoffen zu betreiben, ist allerdings nicht ohne Risiko. Das beginnt damit, dass einige Toxine, die in der zivilen Medizin weit verbreitet sind, in höheren Konzentrationen auch als Waffe benutzt werden können. Zudem kommt auch defensive Forschung nicht darum herum, sich mit den Möglichkeiten des offensiven Einsatzes von Biowaffen zu befassen. Die Entwicklung eines jeden Antivirus setzt die Existenz eines Virus voraus, den es zu identifizieren und neutralisieren gilt. Die Effektivität eines Impfstoffs kann nicht ohne die Erreger sinnvoll getestet werden. Mit diesem Argument wird manchmal sogar die Herstellung von Trägersystemen für Biowaffen begründet. Der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA stellte in den 1990er Jahren beispielsweise mehrere Flugkörper her, die speziell dazu geeignet waren, biologische Kampfstoffe zu verbreiten. Gerechtfertigt wurde dies mit der Absicht, die eigenen Abwehrstrategien gegen einen möglichen Angriff zu erproben und zu verbessern.
Derartige Maßnahmen strapazieren die Grenzen der Biowaffenkonvention stark. Aber auch die reine Forschung an Impfstoffen könnte schon auf eine Absicht hindeuten, biologische Kampfstoffe offensiv einzusetzen. Denn wer beabsichtigt, ein so tödliches wie unkontrollierbares Virus freizusetzen, der ist gemeinhin gut darin beraten, vorher die eigene Bevölkerung bzw. die eigenen Streitkräfte zu immunisieren. Offensive Forschung benötigt defensive Forschung demnach genauso wie defensive Forschung offensive Forschung braucht. Gerade im Bereich der Biowaffen ist es also ausgesprochen schwierig, die in der Konvention vorgesehene Grenze zwischen offensiver und defensiver Forschung wirklich klar zu ziehen. Eine wirksame Überprüfung der Einhaltung der Biowaffenkonvention wird dadurch erheblich erschwert. Ebenso steigt die Gefahr des Missbrauchs.
Ein gutes Beispiel ist die Forschung des Apartheid-Regimes in Südafrika während der 1980er Jahre (vgl. auch Infotext: „Biologische Waffen und biologischer Krieg – eine kurze Geschichte). Offiziell als reines Defensivprogramm deklariert, versucht es doch – wie sich später herausstellte – offensive Biowaffen für den militärischen und geheimdienstlichen Gebrauch herzustellen.
Ist eine Verifikation der Biowaffenkonvention also unmöglich, wenn offensive und defensive Forschung ineinander verschwimmen? Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass sich der entweder offensive oder defensive Charakter der Biowaffenforschung weniger aus der Natur der Substanzen und Apparate, mit denen gearbeitet wird, ergibt. Er erschließt sich zuvorderst aus der jeweiligen Motivation der Forscher selbst sowie der Absicht der Politiker bzw. Streitkräfte, welche die Forschung in Auftrag geben. Dennoch haben viele Experten konkrete Vorschläge gemacht, wie eine Überprüfung der Konvention zumindest verbessert werden könnte. Der Schlüssel wäre eine Bereitschaft der Vertragsstaaten, die Transparenz ihrer vermeintlich defensiven Biowaffenprogramme zu erhöhen. Dazu gehört zum einen eine lückenlose Berichterstattung über die Verbringung von Erregern, die dazu geeignet sind, als biologische Kampfmittel eingesetzt zu werden, vor allem ihr Export in andere Staaten. Zum anderen müssten internationale Kontrollteams einen ungehinderten Zugang zu sämtlichen biologischen Laboren und Forschungseinrichtungen der Vertragsstaaten bekommen. Über derartige Kontrollen wurde zwar verhandelt; ein entsprechendes Zusatzprotokoll zur Biowaffenkonvention kam aber nicht zustande, auch weil die US-amerikanische Regierung 2001 uneingeschränkte Kontrollen ihres Biowaffenforschungsprogramms ablehnte.
Vor allem die Vereinigten Staaten sperren sich gegen eine Offenlegung ihrer Forschung zu biologischen Waffen. Sie begründen dies mit den eingangs erwähnten Eigenheiten der Biowaffenforschung, die aus ihrer Sicht eine effektive Verifikation der Konvention ausschließen. Die Vereinigten Staaten bekräftigten diese Position zuletzt bei einer Konferenz der Vereinten Nationen zur Überprüfung der Biowaffenkonvention im Jahr 2011. Gleichzeitig luden sie aber einige ausgewählte Vertragspartner dazu ein, ihre Forschungsanlagen für die „biologische Verteidigung“ zu besichtigen.
Aufgrund der Besonderheiten der Biowaffenforschung sowie ungenügender Transparenz ist es derzeit nicht möglich zu sagen, ob überhaupt bzw. wie viele und welche Staaten womöglich noch im Geheimen ein offensiv ausgerichtetes Programm zur Entwicklung von Biokampfstoffen betreiben. Bemerkenswerterweise bestätigte die syrische Regierung am 24. Juli 2012 nicht nur im Besitz chemischer, sondern auch biologischer Waffen zu sein. Sie drohte offen damit, diese Kampfstoffe im Bürgerkrieg einzusetzen, sollten sich „ausländische Aggressoren“ einmischen.
Quellen und weiterführende Informationen
- Biologische Waffen oder zivile Forschung? Probleme mit der Biowaffenkonvention - ein (Streit)Gespräch, Telepolis (2001).
- Rühle, Hans (2012): Milzbrand, Kamelpocken, Hasenpest - Assads Biowaffen-Arsenal bedroht die Israeli; Die Welt.
- van Aken, Jan, et al. (2001): Biologische Waffen im 21. Jahrhundert, Vorträge einer Tagung am Hygiene-Museum Dresden.
BICC 01/2013