Siamesische Zwillinge – Die zivile und die militärische Nutzung der Atomtechnik

Die zivile und die militärische Nutzung der Kerntechnik ähneln siamesischen Zwillingen: Sie sind so eng miteinander verbunden, dass sie sich kaum voneinander trennen lassen. Mit der zivilen Anwendung der Nukleartechnik kann Wissen, Material und Technologie gewonnen werden, das auch für ein militärisches Atomprogramm einsetzbar ist. Umfassende Nuklearprogramme – und seien sie als ausschließlich zivil deklariert - rufen deshalb häufig Befürchtungen hervor, hinter ihnen stehe das Streben nach dem Besitz atomarer Waffen. Die Weiterverbreitung nuklearer Waffen (Proliferation) stellt ein Risiko dar, dass sehr ernst genommen wird. Die Existenz einer breiten Palette spezifischer Exportkontrollen und Nichtverbreitungsregelungen zeugt davon. Der seit Jahren anhaltende Streit um das Atomprogramm des Iran ist ein aktuelles Beispiel.

Zwei technische Wege zur Atombombe

Wer Atomwaffen bauen will, kann versuchen, dies auf zwei Wegen zu erreichen. Er kann entweder darauf abzielen eine Atomwaffe zu bauen, die auf der Kernspaltung (Fission) beruht und dafür hochangereichertes Uran erfordert, oder er kann versuchen eine Wasserstoffbombe zu bauen, die auf dem Prinzip der Kernverschmelzung (Fusion) beruht und Plutonium benötigt. Beide Materialien müssen erst gewonnen werden. Natururan enthält nur einen geringen Anteil des spaltbaren Isotops U-235, das deshalb zunächst mit großem technischem Aufwand auf eine höhere Konzentration angereichert werden muss. Plutonium dagegen ist ein Element, das erst entsteht, wenn Uran in einem Kernreaktor bestrahlt wird.

Jeder der beiden Wege zum Bau einer Atomwaffe hat deswegen seine eigenen Schwierigkeiten. Das Konstruktionsprinzip einer Uranbombe ist relativ einfach umzusetzen. Allerdings ist es technisch sehr aufwändig und teuer, das hochangereicherte Uran für die Bombe zu gewinnen. Bei der Wasserstoffbombe ist es eher umgekehrt: Die Plutoniumgewinnung ist technisch nicht so anspruchsvoll, die Konstruktion einer solchen Waffe ist aber viel komplexer und schwieriger.

Für beide Wege zur Bombe kann das Wissen aus dem Bereich der zivilen Nutzung der Kernenergie nützlich sein, ebenso wie Forschungseinrichtungen oder Anlagen des nuklearen Brennstoffkreislaufs. Wer beispielsweise Brennelemente für Kernkraftwerke, Forschungsreaktoren oder nukleare Schiffsantriebe herstellen will, muss dafür ebenso Uran anreichern wie derjenige, der eine Atomwaffe mit Urankern bauen will. Die Unterschiede sind eher gradueller, denn grundsätzlicher Natur. Für Leichtwasserreaktoren wird zu 2- bis 5-prozentig angereichertes Uran benötigt, in Forschungs- oder Schiffsreaktoren kommt aber häufig auch Uran zum Einsatz, das deutlich höher oder sogar ebenso hoch angereichert ist wie Waffenuran (20- bis über 90-prozentiges).

Uran kann mithilfe verschiedener Technologien angereichert werden. Meist werden dafür Zentrifugen genutzt. Damit kann Uran sowohl leicht als auch hoch angereichert werden, also sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke nutzbar gemacht werden. Urananreicherungsanlagen betreiben die fünf traditionellen Atommächte (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China) sowie Pakistan, Iran, Deutschland, die Niederlande, Japan, Südafrika und Brasilien. Kleinere (Versuchs-)Anlagen gibt es unter anderem in Australien und Südkorea. Nordkorea steht im Verdacht, ein unerklärtes militärisches Anreicherungsprogramm zu haben.

Forschungsreaktoren, die mit waffenfähigem hochangereicherten Uran betrieben werden, gelten ebenfalls als besonderer Risikofaktor. Forschungs- oder Schiffsreaktoren können als legitimer Grund genutzt werden, um Uran auch höher anzureichern als es zum Betrieb von Kernkraftwerken nötig ist.

Für die Produktion von Plutonium gilt ähnliches. Bei der Bestrahlung von Brennelementen aus Uran in Atomreaktoren entsteht je nach Reaktortyp, verwendetem Brennstoff und Dauer der Bestrahlung neben Reaktorplutonium auch waffenfähiges Plutonium. Leichtwasserreaktoren eignen sich zur Herstellung von Waffenplutonium schlecht, Schwerwasserreaktoren und einige andere Reaktortypen deutlich besser. Werden bestrahlte Brennelemente wiederaufgearbeitet, so kann das entstandene Plutonium chemisch abgetrennt und für den Waffenbau genutzt werden. Technisch ist es sogar möglich, einen Sprengsatz mit Reaktorplutonium zu bauen. Der Bau von Reaktoren, die zur Plutoniumproduktion gut geeignet sind, und die Nutzung der Wiederaufbereitungstechnik wecken deshalb schnell Proliferationsbefürchtungen. Militärische Wiederaufbereitungsanlagen haben nicht nur die fünf anerkannten Nuklearwaffenstaaten, sondern auch Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea errichtet. Kommerziell betriebene Anlagen entstanden in Großbritannien, Frankreich und Russland sowie Japan. Kleinere Versuchsanlagen gab es in weiteren Ländern.

Regelungen zur Nichtweiterverbreitung (Nonproliferation)

Es gibt deshalb eine Vielzahl von Bemühungen, die Weiterverbreitung der militärischen Nutzung der Kerntechnik zu unterbinden und sicherzustellen, dass die zivile Nutzung der Kerntechnik nicht zu einer Vorstufe oder Tarnung der militärischen Nutzung wird. Diese stehen jedoch vor dem Problem, dass die zivile und die militärische Nutzung nah verwandt sind und man widersprüchlicher weise seit vielen Jahrzehnten versucht, die zivile Nutzung weltweit zu fördern, aber die militärische zu unterbinden.

Wichtigste völkerrechtliche Grundlage ist dabei der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV), der in Deutschland besser als Atomwaffensperrvertrag bekannt ist. Er soll verhindern, dass weitere Nuklearmächte entstehen. Seine nicht nuklearen Mitglieder verpflichten sich, Atomwaffen nicht zu entwickeln, zu bauen oder anderweitig die Verfügung über solche Waffen zu erlangen. Die fünf nuklearen Mitglieder versprechen, den nicht nuklearen Mitgliedern in keiner Weise zu helfen, die Kontrolle über Atomwaffen zu erlangen oder solche Waffen selbst zu bauen.

Zudem wurde auf Basis dieses Vertrages ein System der Sicherheitskontrollen (Safeguards) eingerichtet, mithilfe dessen die Internationale Atomenergiebehörde in Wien (IAEO) die ausschließlich zivile Nutzung nuklearer Anlagen und nuklearer Materialien in den nicht nuklearen Mitgliedsstaaten des Vertrages und – soweit diese es wünschen – auch in den nuklearen Mitgliedsstaaten überprüfen soll.

Der NVV und die IAEO haben aber nicht nur die Aufgabe, die Weiterverbreitung der militärischen Nutzung der Kerntechnik zu verhindern. Sie sollen zugleich deren zivile Nutzung fördern und diese weiteren Ländern ermöglichen. Zu den Staaten, die das Recht auf eine umfassende zivile Nutzung der Kerntechnik unbedingt im NVV verankert sehen wollten, gehörte auch die Bundesrepublik Deutschland. Angesichts der Janusköpfigkeit der Kerntechnik ist dies offensichtlich im Blick auf das Ziel der Nichtverbreitung kontraproduktiv. Es eröffnet Staaten die Möglichkeit, unter Berufung auf ihr Recht zur zivilen Nutzung der Kerntechnik, Technologie anzuwenden oder Anlagen zu bauen und zu betreiben, die – wie z.B. Anreicherungsanlagen – sowohl einem zivilen als auch einem militärischen Zweck dienen können.

Die Mitgliedstaaten des NVV blockieren sich zudem inzwischen teilweise selbst. Eine Gruppe von Mitgliedern, darunter die Atomwaffenstaaten und viele industrialisierte Länder möchten gerne die inzwischen entstandenen Möglichkeiten zur Umgehung der Sicherheitskontrollen der IAEO durch neue, schärfere Nichtverbreitungsregeln schließen. Eine zweite größere Gruppe beharrt aber darauf, dass durch den Vertrag nicht auf Dauer eine nukleare Zweiklassengesellschaft aus rechtmäßigen Atomwaffenbesitzern und nuklearen Habenichtsen entstehen dürfe. Sie fordert, dass die Atomwaffenbesitzer ihrer vertraglichen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung auf „Null“ verbindlich und schneller nachkommen sollen. Fortschritte sind nur schwer zu erreichen.

Um das Ziel der Nichtverbreitung auch gegen Widerstände zu gewährleisten, haben die Staaten, die über die benötigten nuklearen Technologien und Materialien verfügen, eine Vielzahl zusätzlicher multilateraler Instrumente geschaffen: Mit der Nuclear Suppliers Group und dem Zangger-Ausschuss stimmen sie ihre Exportkontrollpolitik für kerntechnisch relevante Güter ab. Seit 2004 haben sie sich zunächst im G-8-Kontext auf ein Moratorium für den Export von Technologien für Wiederaufbereitungs- und Anreicherungsanlagen geeinigt.

Auch Kooperation kann der Nichtverbreitung dienen. So haben westliche Staaten in den 1990er Jahren etliche Programme zur Zusammenarbeit mit den Nachfolgestaaten der UdSSR aufgelegt, um zu verhindern, dass deren nukleares Erbe zur Weiterverbreitung von Atomwaffen beitragen würde. Die USA und Russland arbeiten z.B. bei der Aufgabe zusammen, die zivile Nutzung von hochangereichertem Uran in Forschungsreaktoren zurückzudrängen.

Schließlich werden zunehmend Zwangsmaßnahmen eingesetzt, um Staaten zur Aufgabe militärisch nuklearer Ambitionen oder zu dem Nachweis zu zwingen, dass ihre Nuklearprogramme rein ziviler Natur sind. Seit Ende des Kalten Krieges kommen verstärkt Sanktionen zum Einsatz. Mit der Proliferation Security Initiative (PSI) wurde ein multilaterales Instrument geschaffen, um Technologie und Materiallieferungen zu unterbinden. Einzelne Staaten wie die USA und Israel behalten sich zudem das höchst umstrittene Recht vor, gegen nukleare Bestrebungen in anderen Ländern präventiv militärisch vorzugehen.

Solche Maßnahmen können ihren Erfolg jedoch nicht garantieren. Sie bleiben unvollkommen, weil Staaten wie Pakistan und Nordkorea außerhalb der Regime aktiv zur Weiterverbreitung beitragen können und der technische Fortschritt es immer mehr Ländern ermöglicht, Technik für kerntechnische Anwendungen herzustellen.

Letztlich könnte wohl nur ein weltweiter Verzicht auf sowohl die militärische als auch die zivile Nutzung der Kerntechnik – eine doppelte Null-Lösung – weitestgehend Sicherheit vor einer Weiterverbreitung nuklearer Waffen garantieren. Er würde auch die Vision einer verifizierbar und irreversibel atomwaffenfreien Welt realistischer machen. Sollte Deutschland den Weg des völkerrechtlichen Verzichts auf Atomwaffen und des Ausstiegs aus der zivilen Nutzung der Kernenergie konsequent zu Ende gehen, so wäre das ein starkes Signal, dass ein hoch technologisierter, führender europäischer Staat keinerlei nuklearen Status benötigt.

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 01/2013


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