Chemische Kampfstoffe im Einsatz

Chemische Waffen zählen zu den Massenvernichtungsmitteln. Durch ihren Einsatz können und sollen eine Vielzahl von Personen bzw. Soldaten in einem mehr oder weniger großen Gebiet getötet werden. Indem man das Gelände des Gegners kontaminiert, wird zudem dessen operative Beweglichkeit erheblich eingeschränkt. Außerdem müssen die feindlichen Soldaten ABC-Schutzkleidung anlegen, was ihre Einsatzmöglichkeiten und Ausdauer zusätzlich einschränkt. Allerdings kann dies auch die eigenen Truppen betreffen, wenn sich der Wind dreht oder der Kampfverlauf ändert. Chronologie der Einsätze (Auswahl):

Antike

Historiker verweisen darauf, dass bereits im Peloponnesischen Krieg (431 bis 404 v. Chr.) die Spartaner Brandkörper gegen die Athener einsetzten, um so die Luft mit Schwefeldioxid zu vergiften.

Erster Weltkrieg

Die „moderne“ chemische Kriegführung begann im Ersten Weltkrieg. Es waren die französischen Streitkräfte, die im August 1914 als erste C-Waffen gegen die deutschen Truppen einsetzten. Allerdings handelte es sich zunächst „nur“ um das Tränengas Xylylbromid.

  • Für den ersten Einsatz tödlicher Giftgase waren die deutschen Truppen verantwortlich: Am 22. April 1915 griff das XV. Armeekorps unter General Berthold von Deimling zwischen Langemark und Ypern mit Chlorgas an. Da Chlor schwerer ist als Luft, sank es in die französischen Schützengräben. Dieser erste Angriff forderte schätzungsweise 1.200 Tote und 3.000 Verwundete. Damit die Soldaten wussten, was in den einzelnen Gasbehältern enthalten war, erhielten diese farbige Markierungen: Grüne Kreuze standen für Lungenkampfstoffe, blaue Kreuze für Blutkampfstoffe, gelbe für Hautkampfstoffe. Bei einem Chemieangriff mit verschiedenen Kampfstoffen sprachen die Soldaten deshalb lapidar vom „Buntschießen“.

  • Beim „Gaskrieg“ im Ersten Weltkrieg wurden rund 120.000 Tonnen von 38 Kampfstofftypen verschossen, dadurch starben circa 100.000 Soldaten und 1,2 Millionen Mann wurden verwundet.

In den zwanziger Jahren

Trotz der hohen Verluste durch die chemischen Waffen im Gaskrieg wurde ihre Verbreitung nicht sofort gestoppt. Im Gegenteil: Kaum war der Erste Weltkrieg zu Ende, begannen die Siegermächte damit, C-Waffen in Kolonialkriegen einzusetzen:

  • Im Jahr 1919 benutzten die britischen Streitkräfte Kampfstoffe gegen die aufständischen Kurden in der Stadt Sulaimaniyya (heute: Nordirak).
  • Im Jahr 1924 setzten die Spanier C-Waffen, die aus Deutschland geliefert worden waren, gegen die rebellischen Rifkabylen in Marokko ein.
  • In den Jahren 1924 bis 1930 setzte die italienische Regierung Kampfstoffe gegen die Aufständischen in Libyen ein, das damals noch eine italienische Kolonie war.
  • Von Dezember 1935 bis April 1936 setzten sie 350 Tonnen Senfgas gegen die Äthiopier bei Makalle, Debra Tabor und Degehabur ein. Nach unterschiedlichen Schätzungen kamen 15.000 bis 50.000 Afrikaner durch Kampfstoffe ums Leben.

Zweiter Weltkrieg

Trotz der Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und den Bestimmungen des Genfer Protokolls von 1925 hatten die damaligen Großmächte bis 1939 ein umfassendes Arsenal an chemischen Waffen aufgebaut. Dennoch kam es im Zweiten Weltkrieg nicht zu dem befürchteten Großeinsatz, zumindest nicht in Europa. Hier gab es nur lokal begrenzte Einzelfälle, so etwa in der Ukraine.

Es ist bis heute nicht geklärt, warum ein massiver C-Waffen-Krieg vermieden wurde, obwohl an allen Fronten mit äußerster Heftigkeit und Millionen von Toten zur Folge gekämpft wurde. Jedenfalls gab es genügend Einsatzpläne: Für den Fall eines deutschen Chemieangriffs wollten die US-Streitkräfte ab April 1944 ihrerseits 30 große deutsche Städte mit 36.521 Tonnen Senfgas und Lost angreifen, was rund 5,6 Millionen Tote und 12 Millionen Verletzte gefordert hätte.

In diesem Zusammenhang soll nicht vergessen werden, dass in den Gaskammern der deutschen KZ „Zyklon-B“ verwendet wurde. Dabei handelte es sich um mit Blausäure getränkte Kieselerde. Dieses Präparat war ursprünglich zur Insektenvertilgung entwickelt worden.

Im Fernost setzten die japanischen Truppen C-Waffen gegen die Chinesen ein. So starben bei der Schlacht von Wuhan (August bis Oktober 1939) 400.000 Chinesen. Weitere Chemieangriffe erfolgten in Changsha (Herbst 1939), Yichang (Oktober 1941) und Changde (November 1943). Bei der letzten Schlacht starben 50.000 Soldaten und 300.000 Zivilisten durch den Einsatz von Senfgas und Lewisit.

Kalter Krieg

  • Von 1965 bis 1967 mischte sich die ägyptische Regierung in den Bürgerkrieg im Jemen ein. Dabei setzte ihre Luftwaffe Phosgen bzw. Senfgas gegen die Ortschaften Kitaf, Gahar und Gadafa ein.
  • Im Vietnamkrieg setzten die US-Streitkräfte von 1962 bis 1971 mehrere Herbizide, insbesondere das „Agent Orange“, ein. Damit wollte man die Dschungelwälder entlauben, um die Verstecke der nordvietnamesischen Vietcong-Guerillas auszuheben (Operation RANCH HAND). Der Kampfstoff war durch „2,3,7,8-TCDD“ verunreinigt, einem hochgiftigen Dioxin, das Krebs erzeugt und das Erbgut schädigt. Durch diese Bombardierungen mit 40.000 Tonnen Entlaubungsmitteln wurden 38.000 Quadratkilometer Boden vergiftet, vier Millionen Einwohner waren betroffen. Wenn eine überlebende Vietnamesin Jahre später ein Kind zur Welt brachte, dann wies dies oft schwere körperliche Missbildungen auf, obwohl der Krieg schon längst zu Ende war. Im Jahr 1980 wollten 14.000 US-Soldaten ihre eigene Regierung verklagen und verlangten eine Entschädigung. In einem außergerichtlichen Vergleich zahlte der Hersteller Dow Chemical 180 Mio. Dollar.
  • Im Golfkrieg zwischen Irak und Iran (1980 bis 1988) kam es zu den letzten bekannten Chemieeinsätzen in einem zwischenstaatlichen Konflikt. Durch die irakischen Chemieangriffe starben rund 100.000 iranische Soldaten und viele Zivilisten.
  • Mitte der achtziger Jahre führte die irakische Regierung unter Saddam Hussein eine Offensive zur Unterdrückung der kurdischen Minderheit durch (Operation ANFAL). Dabei wurden rund vierzig Mal Chemiewaffen eingesetzt. Allein beim Angriff auf das Dorf Halabdscha am 16. März 1988 starben 5.000 Kurden, bis zu 10.000 Personen wurden verletzt.

Nach dem Kalten Krieg

Seit dem Ende des „Kalten Krieges“ wurden Chemiewaffen nur noch im Rahmen von Terroranschlägen angewendet:

  • Am 20. März 1995 verübte die japanische Sekte Aum Shinrikyo einen Giftgasanschlag auf die U-Bahnstation im Regierungsviertel von Tokio. Das eingesetzte Sarin aus eigener Produktion war stark verunreinigt, daher gab es „nur“ 12 Tote und über 5.000 Verletzte. Zu den Verletzten zählten zahlreiche Mitarbeiter der Krankenhäuser, die auf die Versorgung gasverletzter Personen nur unzureichend vorbereitet waren und sich durch Kontaminationsverschleppung selbst vergifteten.
  • Bei einer Geiselnahme von 850 Personen im Moskauer Dubrowka-Theater durch circa 50 tschetschenische Rebellen setzten die russischen Streitkräfte im Oktober 2002 eine unbekannte Chemiewaffe ein. Vermutlich handelte es sich um ein Gas-Aerosol-Gemisch aus Carfentanl und Halothan. Der „Befreiungsversuch“ scheiterte. Alle Geiselnehmer und 129 Geiseln starben. Von den getöteten Geiseln kamen die meisten durch den Gasangriff ums Leben.
  • Im April/Mai 2007 soll die islamistische Terrororganisation „Al-Qaida im Zweistromland“ wiederholt Chlorgas gegen amerikanische Soldaten und irakische Regierungstruppen eingesetzt haben. Das Gas stammt aus einer Fabrik in Karma nahe der irakischen Stadt Falludscha. Berichtet wurde u. a. von einem Angriff auf eine Polizeiwache in Ramadi am 6. April 2007 mit 27 Toten und auf den Dorfmarkt von Abu Sayda am 15. Mai 2007 mit 45 Toten.
  • Die türkische Regierung soll am 22. Oktober 2011 im Kampf gegen die kurdische PKK zum wiederholten Male Chemiewaffen eingesetzt haben. Die Angriffe fanden bei Cukurca statt.
  • Im afghanischen Bürgerkrieg sollen die Taliban im April/Mai 2012 wiederholt Giftanschläge auf Mädchenschulen u.a. in Kunduz und Talokan verübt haben. Mehrere hundert Mädchen klagten über Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Übelkeit.

Quellen und weiterführende Informationen:

  • Grümmer, Gerhard (1990): Giftküchen des Teufels – Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge, Berlin(-Ost).
  • N.N. 2012. Chemical Warfare, Wikipedia.
  • Stöhr, Ralf und Kießlich-Köcher, Harald (1987): Chemie des Todes – Geschichte, Perspektiven, Abrüstungsperspektiven, Berlin(-Ost), Militärverlag der DDR.

BICC 01/2013


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