Chemiewaffen

Chemische Waffen können als Massenvernichtungsmittel viele Tote und Verwundete fordern. Dabei sind sie relativ billig in der Herstellung. Die ersten Chemiewaffen wurden während des Ersten Weltkriegs entwickelt und eingesetzt. Aber auch im Zweiten Weltkrieg, im Vietnamkrieg und im Ersten Golfkrieg (1980 bis 1988) wurden chemische Kampfstoffe eingesetzt.

Als ihr „Erfinder“ gilt der deutsche Chemiker Fritz Haber, der seit 1911 Leiter des Instituts für Physikalische Chemie in Berlin-Dahlem war. Diesen Posten behielt er bis 1933, als er wegen seines jüdischen Glaubens von den Nazis aus dem Amt gejagt wurde. Für seine Verdienste um die Agrochemie erhielt Haber 1918 den Chemienobelpreis. Zu seinen militärischen Forschungen erklärte er 1920: „Der Vorteil der Gasmunition kommt im Stellungskriege zu besonderer Entfaltung, weil der Gaskampfstoff hinter jeden Erdwall und in jede Höhle dringt, wo der fliegende Eisensplitter keinen Zutritt findet.“

Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gingen mit der Materie wesentlich kritischer um. Sie verwiesen auf die persönliche und gesellschaftliche Verantwortung von Chemikern, Physikern und Biologen, insbesondere in Bezug auf die militärische Verwendung ihrer Erkenntnisse. Der Streit um die Verbindung von Ethik und Wissenschaft dauert noch heute an.

Chemiewaffen bestehen aus einem chemischen Kampfstoff und einem Trägersystem, um diesen ins Ziel zu befördern. Chemische Kampfstoffe haben eine erstickende, lähmende oder giftige Wirkung. So gibt es blutschädigende sowie Haut-, Lungen-, Nervengifte.

Die ersten Chemiewaffen bestanden einfach aus den giftigen Gasen, die aus der chemischen Industrie schon bekannt waren, wie z. B. Chlor oder Phosgen. Später synthetisierte man neue Kampfstoffe, die extra für die militärische Kriegsführung entwickelt wurden. Bei den Trägermitteln kann es sich um Minen, Handgranaten, Granaten, Bomben, Sprühtanks oder Raketensprengköpfe handeln. Im Ersten Weltkrieg wurden die Kampfstoffe noch in Form von Gas ausgebreitet, daher stammt der gebräuchliche Name „Giftgas“. Aber Gas verflüchtigt sich sehr rasch und daher gingen die Militärs später dazu über, den Kampfstoff als Aerosol einzusetzen. Ein Aerosol besteht aus einer Unzahl mikroskopisch kleiner Tröpfen, die sich wie ein Nebel ausbreiten.

Militärische Einsatzmöglichkeiten von C-Waffen

Um sich von der Gefährlichkeit der chemischen Waffen ein Bild zu machen, bietet es sich an, sich einmal ihre militärischen Einsatzmöglichkeiten genauer anzuschauen. Grundsätzlich beruht sie auf ihrer so genannten Toxizität. Damit wird angegeben, wie giftig eine solche Waffe für den Menschen ist. Dafür gibt es allerdings kein genaues Maß, weil Menschen, z.B. wegen ihres individuellen Körpergewichts, unterschiedlich auf Gift reagieren. So braucht man mehr Gift um einen erwachsenen Mann zu töten als ein Kind.

Um dennoch eine Angabe über die spezifische Giftigkeit eines Stoffes machen zu können, hat man eine statistische Größe erfunden: die „mittlere letale Dosis“ (LD50). Sie gibt an, bei welcher Konzentration ein Mensch mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent getötet wird. So können mit Hilfe der LD50 auch die verschiedenen Kampfstoffe miteinander verglichen werden.

Wenn chemische Waffen eingesetzt werden, können sie sehr schnell vom Wind verweht werden. Daher wollen die Militärs für ihre Einsatzplanung auch noch wissen, wie lange ein Mensch einem Gift ausgesetzt sein muss, um getötet zu werden. Dies nennt man die „mittlere letale Konzentration“ (LCt50). Diese Zahl gibt an, wie hoch die Konzentration eines Stoffes in einem Kubikmeter Luft sein muss, um bei einer Einwirkungszeit von einer Minute einen Menschen mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zu töten. Dabei kann das Gift über die Haut (perkutan) oder über den Mund (oral) aufgenommen werden.

Auch wenn ein Soldat weniger Gift aufgenommen hat, wird er krank und fällt somit als Kämpfer aus. Deshalb ist auch diese Angabe für die Militärs wichtig. Sie wird als „mittlere handlungsunfähig machende Konzentration“ (ICt50) bezeichnet.

Kampfstoff

LD50

(mg)7

LCt50

(mg min/m3)8

ICt50

(mg min/m3)8

CN1

-

11.000

80

CS1

-

11.000

20

BZ2

-

200.000

110

Blausäure3

19

2.000

80

Phosgen4

5.0009

3.200

1.600

Senfgas5

5.000

1.500

100-200

Sarin6

10

100

40

Soman6

10

50

25

Tabun6

5

400

100

VX6

5

10

5



Anmerkungen: (1) Tränengas, (2) Psychokampfstoff, (3) Blutkampfstoff, (4) Lungenkampfstoff, (5) Hautkampfstoff, (6) Nervenkampfstoff, (7) Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht, (8) Milligramm pro Minute pro Kubikmeter Luft, (9) hier: absolut tödlich wirkende Dosis (LD100).

Auf Basis dieser Angaben bestimmen die Kriegsplaner, wieviel Gas bei einem Angriff eingesetzt wird. Dabei müssen sie aber auch noch die Umweltbedingungen beachten, da das eingesetzte Gas durch Wind verweht werden kann. Diese Sesshaftigkeit bestimmt auch, wann ein Gebiet wieder gefahrlos betreten werden kann. Außerdem zersetzen sich die giftigen Substanzen unter der UV-Strahlung der Sonne mehr oder weniger schnell.

Kampfstoff

+ 10°C
regnerisch
windig

+ 15°C
sonnig
leichte Brise

- 10°C
-
windstill
Schneedecke

CN

-

1 bis 2 Std.

6 Std. bis mehrere Tage

Blausäure

einige Minuten

einige Minuten

1 bis 4 Std.

Phosgen

einige Minuten

einige Minuten

15 Min. bis 4 Std.

Senfgas

12 bis 48 Std.

2 bis 7 Tage

2 bis 8 Wochen

Sarin

15 Min. bis 1 Std.

15 Min. bis 1 Std.

1 bis 2 Tage

Soman

3 bis 36 Std.

2,5 bis 5 Tage

1 bis 6 Wochen

VX

1 bis 12 Std.

3 bis 21 Tage

1 bis 16 Wochen



In der Praxis zeigte sich, dass sich der meiste Kampfstoff auf Bäumen, Dächern und Wiesen niederschlägt. Trotz der hohen Toxizität der Substanzen war ein Angriff daher nur dann „erfolgreich“, wenn etliche Tonnen Kampfstoff gleichzeitig zum Einsatz gebracht werden konnten. Außerdem barg jeder Einsatz auch für Risiken für die eigene Truppe, etwa wenn sich der Wind drehte.

Weil schon die Lagerung von Chemiewaffen große Risiken birgt, entwickelten die USA in den achtziger Jahren Binärkampfstoffe für Artilleriegranaten und Bomben. Diese bestehen aus zwei mindergiftigen Substanzen, die erst bei einem Einsatz vermischt werden, wodurch ein tödlicher Kampfstoff synthetisiert wird. Beispiele sind die 155-mm Granate M687 (Sarin) und die Flugzeugbombe BLU-80/B Bigeye (VX).

Eine sehr umstrittene Waffengattung

Ungewöhnlich ist, dass die chemischen Waffen unter den Militärs selbst von Anfang an umstritten waren. Die Befürworter meinten, mit C-Waffen ließe sich eine hohe Anzahl gegnerischer Soldaten flächenwirksam töten. Dagegen argumentierten die Skeptiker, dass sie taktisch schwierig einzusetzen und wenig effektiv seien und zudem die eigene Truppe gefährden könnten.

Bei den Frontsoldaten aller Armeen waren die chemischen Waffen seit dem Ersten Weltkrieg besonders gefürchtet: Bei vielen Gasverletzten zog sich der Todeskampf mehrere Tage hin, bis sie schließlich erstickten. Außerdem trugen die Überlebenden oft dauerhafte Schäden davon, unter denen sie ein Leben lang zu leiden hatten: Erblindung, Hautverätzungen, Lungenschäden und Krebs.

Aber nicht nur Chemiewaffen wurden entwickelt, sondern auch technische Möglichkeiten der ABC-Abwehr. Heute sind die Selbstschutzmöglichkeiten der Soldaten soweit entwickelt, dass durch einen Gasangriff kaum noch ein taktischer oder strategischer Vorteil erreicht werden kann.

Auch diese militär-taktischen Grenzen führten dazu, dass die C-Waffen - als erste Massenvernichtungswaffen überhaupt - einem umfassenden Verbot unterworfen wurden. Das Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) trat 1997 in Kraft. Dennoch ist auch heutzutage ein Chemieangriff nicht auszuschließen, und sei es als Terrorakt oder als letzte Verzweifelungstat eines enthemmten Diktators angesichts seiner drohenden Niederlage in einem Bürgerkrieg.

Quellen und weiterführende Informationen

  • Angerer, Jo (1985): Chemische Waffen in Deutschland – Mißbrauch einer Wissenschaft, Darmstadt.
  • Brauch, Hans Günter und Alfred Schrempf (1982): Giftgas in der Bundesrepublik – Chemische und biologische Waffen, Frankfurt.
  • Dosch, Werner und Peter Herrlich (Hrsg.)(1985): Ächtung der Giftwaffen – Naturwissenschaftler warnen vor Chemischen und Biologischen Waffen, Frankfurt.
  • Harris, Robert und Jeremy Paxman (1983). A Higher Form of Killing: The Secret History of Chemical and Biological Warfare.
  • N.N. (2012): Chemical weapon, Wikipedia.

BICC 01/2013


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