Trägersysteme

Der Begriff Massenvernichtungswaffen hat eine lange, wechselhafte Geschichte. Eine allgemein anerkannte oder völkerrechtlich verbindliche Definition gibt es nicht. Eine in Politik und Gesellschaft weitverbreitete indirekte Definition liefert vom 28. April 2004, in der es heißt, dass die „Weiterverbreitung von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen sowie ihrer Träger eine Bedrohung für den internationalen Frieden und Sicherheit“ darstellen und dass die „Weitervergabe (…) aller Massenvernichtungswaffen“ verhindert werden soll.

Der moralisch und ethisch negativ besetzte Begriff ‚Massenvernichtungswaffen’ wird – wie der folgend beschriebene Bedeutungswandel des Begriffes zeigt – von den jeweiligen politischen Akteuren unterschiedlich verstanden.

Cosmo Gordon Lang, der Erzbischof von Canterbury, sprach 1937 als erster von Massenvernichtungswaffen, nachdem die Legion Condor die spanische Stadt Guernica bombardiert hatte. Diese verdeckt operierende Truppe der Deutschen Wehrmacht erprobte im spanischen Bürgerkrieg neue konventionelle Waffen und Techniken des Luftkrieges, die massenhaft zivile Opfer gefordert hatten. Nach Hiroshima, Nagasaki und dem Ende des zweiten Weltkriegs fand sich der Begriff erneut in der ersten Resolution der Generalversammlung der gerade neu gegründeten Vereinten Nationen. Dort bezeichnet er „Atomwaffen und alle anderen Waffen, die zur Massenvernichtung genutzt werden“ können. Während des Kalten Krieges wurde er weitgehend zu einem Synonym für Atomwaffen.

Sein Ende brachte das Thema „ Massenvernichtungswaffen“ aus zwei Gründen verstärkt auf die internationale Tagesordnung. Zum einen hatte sich im Kontext des 2. Golfkrieges 1990/91 gezeigt, dass es dem Irak unter Saddam Hussein trotz der bestehenden Nichtverbreitungsregime gelungen war, unentdeckt erhebliche Fortschritte beim Bau nuklearer Waffen und von weitreichenden Trägersystemen für chemische Waffen zu machen. Die Instrumente der Internationalen Gemeinschaft, die Weiterverbreitung atomarer, biologischer und chemischer Waffen zu verhindern, hatten sich als zu schwach erwiesen. Zum anderen rief der zeitgleich stattfindende Zerfall der Sowjetunion große Sorgen hervor, dass ABC-Waffen oder die Materialien und Technologien für deren Bau aus den Nachfolgerepubliken der UdSSR in andere Länder diffundieren könnten.

Auf diese Entwicklungen reagierten die USA unter Präsident Clinton mit einem Konzept, das eine Mischung aus eigenen kleinen Abrüstungsschritten, deutliche Bemühungen um verbesserte Nichtverbreitungsmechanismen sowie eine Unterstützung der Nachfolgestaaten der UdSSR bei der Sicherung ihres A-, B- und C-Erbes beinhaltete. Sie nutzten den Begriff „Massenvernichtungswaffen“ ab 1993 regelmäßig als Sammel- und Kurzbezeichnung für alle für atomaren, biologischen und chemischen Waffen sowie deren Trägersysteme und erklärten die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu einer der wichtigsten Bedrohungen der Zukunft. Dieser gelte es notfalls sogar mit Waffengewalt entgegenzutreten.

Eine erneute Veränderung seiner Bedeutung erfuhr der Begriff nach den Terroranschlägen von 11. September 2001. Die bereits während der Clinton-Administration immer wieder diskutierte Gefahr, dass auch nicht staatliche Akteure wie zum Beispiel Terroristen versuchen könnten, in den Besitz solcher Waffen zu kommen, gewann in der Bedrohungswahrnehmung in den USA schnell überproportional an Bedeutung. Bald wurde jedoch auch klar, dass die Gefahr, dass Terroristen sich Zugang zu kompletten, einsatzfähigen Atomwaffen und deren Trägersystemen verschaffen könnten, wesentlich geringer und weniger realistisch war, als das Risiko, dass sich solche Akteure giftiger oder biologischer Substanzen sowie stark strahlender nuklearer Materialien bemächtigen und diese todbringend zum Einsatz bringen könnten. Im Kontext der Diskussion über die Innere Sicherheit vor Terroranschlägen wurde nun immer häufiger vor radiologischen Waffen gewarnt, also vor der sogenannten „schmutzigen Bombe“, bei der eine Mischung aus konventionellem Sprengstoff und strahlendem Nuklearmaterial zum Einsatz gebracht werden würde. Auch diese wurden zu den Massenvernichtungswaffen gezählt.

Die kollektive Bezeichnung von atomaren, biologischen, chemischen und radiologischen Waffen als Massenvernichtungswaffen ist jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch und fragwürdig. Zwischen den einzelnen Waffenarten gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihrer tödlichen Wirkung, ihrer militärischen Nutzbarkeit, ihrer Wirksamkeit und ihrer Einsetzbarkeit.

Am besten trifft der Begriff auf atomare Waffen zu. Sie wirken unterschiedslos gegen militärische Kämpfer und unbeteiligte Zivilisten. Schon eine einzelne Waffe kann eine riesige Zahl von Menschen und auch über größte Entfernungen binnen kürzester Zeit umbringen. Die Hemmnisse gegen den Einsatz atomarer Waffen zur Massenvernichtung sind meist politischer oder psychologischer, nicht aber technischer Art.

Chemische Waffen dagegen töten nur dann eine große Zahl von Menschen, wenn sie massiv eingesetzt werden und/oder wenn den Opfern keine Schutzkleidung zur Verfügung steht. Zudem wirken sie oft nur dann wie gewünscht, wenn der Wind nicht in die falsche Richtung bläst. Ist eine massenhafte Vernichtung von Menschenleben das militärische Ziel, so sind chemische Waffen oft kein geeignetes Mittel.

Radiologische Waffen können ebenfalls kaum als Massenvernichtungswaffen bezeichnet werden. Sie wirken räumlich eher eng begrenzt. Für ein gezieltes massives Töten sind „schmutzige Bomben“ kaum geeignet.

Bei biologischen Waffen kann wie bei atomaren Waffen eine geringe Menge des Waffenmaterials eine sehr große Zahl von Menschen töten. Trotzdem stehen ihrem effektiven militärischen Einsatz erhebliche technische Hindernisse im Weg. Zum einen besteht das Problem, die Substanzen großflächig auszubringen. Zum anderen ist ihr effektiver und rascher Einsatz über große Entfernungen technisch nur schwer zu bewältigen, z.B. weil Raketengeschosse extrem hohe Temperaturen entwickeln, welche die Viren oder Bakterien vernichten würden.

Schließlich gibt es auch Waffenarten, mit denen in den Kriegen und Konflikten der Vergangenheit weit mehr Menschen getötet wurden als mit atomaren, chemischen und biologischen Waffen, wie beispielsweise Klein- und Leichtwaffen oder auch Landminen. Der Blutzoll, den diese Waffen gefordert haben, hat hinsichtlich der Opferzahlen mit Berechtigung dazu geführt, dass der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan sie 2001 wegen ihrer weiten Verbreitung und ihres Zerstörungspotenzials die „wahren Massenvernichtungswaffen unserer Zeit“ genannt hat.

BICC 01/2013


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