C-Waffen-Verbot, Nichtverbreitung und C-Waffen-Abrüstung
Chemiewaffen waren die ersten Massenvernichtungswaffen. Trotz zahlloser Opfer war ihr Einsatz in keinem Fall kriegsentscheidend. Wiederholt hatten die Angreifer selbst unter den Spätfolgen zu leiden, so etwa die US-Veteranen des Vietnamkrieges. Unter Militärs gelten Chemiewaffen heute als weitgehend überholt. Gerade dieser militär-taktische Misserfolg ermöglichte die (nahezu) vollständige Abrüstung der Chemiewaffen. Nur wenige Staaten, vor allem aus der Gruppe der sich entwickelnden Länder, wollen noch an ihren Restpotentialen festhalten.
Proliferation
Mit der zunehmenden Industrialisierung der Länder aus der Gruppe der sich entwickelnden Staaten steigt auch deren Fähigkeit, eigene Chemiewaffen zu produzieren. Mehrere Staaten stehen im Verdacht, ein C-Waffen-Arsenal zu horten. Es handelt sich u. a. um Ägypten, Angola, Äthiopien, China, Iran, Israel, Nordkorea, Myanmar, Pakistan, Serbien, Syrien, Taiwan und Vietnam, die das Chemiewaffenverbot bisher nicht ratifiziert haben.
Auf Grund des aktuellen Bürgerkrieges und dem möglichen Einsatz seiner Chemiewaffen steht Syrien z. Zt. im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Demnach soll die Regierung in Damaskus über mehrere hundert Tonnen Blausäure, Senfgas, Tabun und Sarin verfügen, eventuell auch VX. Die Produktionsanlagen befinden sich in Damaskus, Dumayr, Khan Abou, Shamat und Furklus. Lagerstätten sind bei Damaskus und Homs. Als potentielle Trägersysteme kommen Artilleriegranaten, Flugzeugbomben und Gefechtsköpfe für die Scud-Raketen in Frage. Mehrere deutsche Unternehmen lieferten Chemikalien oder Bauteile, die für das Chemiewaffenprogramm verwendet wurden.
Chemiewaffen-Altlasten in Deutschland
Die damalige Bundesrepublik Deutschland (BRD) hat bereits am 3. Oktober 1954 feierlich auf den Besitz von ABC-Waffen verzichtet, allerdings war diese Regierungserklärung rechtlich nicht bindend. Am 12. August 1994 unterzeichnete das wiedervereinigte Deutschland dann das allgemeine Chemiewaffenverbot. Bis dahin gab es wiederholt Meldungen, dass in der BRD doch an Chemiewaffen geforscht werde. So wurde im November 1968 bekannt, dass das damalige Institut für Aerobiologie (IfA) der Fraunhofer Gesellschaft in Grafschaft mit Nervengasen experimentierte. Einer der Leiter des Instituts, Dr. Ehrenfried Petras, war ein Stasi-Agent und hatte sich in die DDR abgesetzt. Von der Bundesregierung wurden die Vorwürfe bestritten; die Forschung diene ausschließlich „Defensivzwecken“, um die ABC-Abwehr zu verbessern. Bis heute betreibt die Bundeswehr in Munster das Wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologien.
Außerdem waren die US-Streitkräfte in der BRD mit Chemiewaffen (mindestens 435 Tonnen Nervenkampfstoff) ausgerüstet. Als Standorte gerieten Clausen, Fischbach, Hanau, Mannheim, Maßweiler und Viernheim in der Öffentlichkeit in Verdacht. Zumindest Clausen diente bis 1990 tatsächlich als C-Waffen-Depot.
Außerdem hat(te) die Bundesrepublik ein Altlastenproblem - die chemischen Überreste des „Dritten Reiches“. Neben mehreren Forschungslaboratorien (Berlin-Spandau, Heidelberg, etc.) betrieben die Nazis 25 Produktionsstätten. Insgesamt handelt es sich um rund 75.000 Tonnen Kampfstoffe, die u. a. auf 6.000.000 Gasgranaten und 70.000 Bomben abgefüllt waren. Eine der größten Fabrikanlagen für Nervengas stand seinerzeit im schlesischen Dyhernfurth (heute Polen, Brzeg Dolny). Sie wurde von den sowjetischen Streitkräften demontiert, in die Sowjetunion verbracht und dort erneut in Betrieb genommen.
In dem allgemeinen Chaos bei Kriegsende wurden die Kampfstoffe manchmal an Ort und Stelle vergraben, so etwa in Traunreut (Bayern) und in Lossa (Sachsen-Anhalt). Von 1945 bis 1948 sammelten die West-Alliierten ca. 235.000 Tonnen Chemiewaffen ein, transportierten sie zur Küste und verluden sie auf mindestens 39 alte Schiffe, die dann mitsamt ihrer hochgiftigen Ladung einfach in der Nord- und Ostsee oder der Biskaya versenkt wurden. Noch heute werden verrostete Granaten gelegentlich an den Strand gespült oder verfangen sich in den Netzen von deutschen, dänischen oder schwedischen Fischerbooten. Die Fischer schmeißen die Munition dann einfach wieder ins Meer. Wiederholt wurden Seeleute durch chemische Granaten getötet oder verletzt.
Die staatliche Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungs-Altlasten mbH (GEKA) in Munster ist seit 1997 mit der Sanierung der früheren Produktionsstätten und Verbrennung der Altmunition betraut. Dazu betreibt das Unternehmen zwei Verbrennungsöfen. In Munster sollen z. Zt. noch rund 40.000 Tonnen vergifteter Erdboden lagern, der noch dekontaminiert werden muss.
Rüstungskontrolle
Es gab mehrere Versuche, die Chemiewaffen einer Rüstungskontrolle zu unterwerfen.
Schon die Haager Landkriegsordnung vom 29. Juli 1899 untersagte in Artikel 23 „die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen“. Der Versailler Vertrag vom 10. Januar 1920 verbot zwar der deutschen Reichswehr den Besitz von Chemiewaffen, aber diese Auflage wurde dadurch unterlaufen, dass Deutschland mit Russland seit Mitte der zwanziger Jahre auf dem Gebiet der chemischen Rüstung heimlich zusammenarbeitete. Das „Genfer Protokoll“ wurde am 17. Juni 1925 ausgehandelt und trat am 8. Februar 1928 in Kraft. Es verbot zwar den Einsatz chemischer Waffen, aber die Militärs behielten sich ein „Hintertürchen“ offen: Die Produktion und Lagerung von C-Waffen blieben weiterhin erlaubt. Damit war einem Vertragsbruch von vornherein Tor und Tür geöffnet. Mit der Biowaffenkonvention, die am 26. März 1975 in Kraft trat, wurde zumindest die Herstellung, Lagerung und der Einsatz von Biotoxinen verboten. Außerdem trat am 5. Oktober 1978 die „Konvention über das Verbot von militärischem oder jedem anderen feindlichen Gebrauch von umweltverändernden Techniken” (ENMOD-Konvention) in Kraft. Seit der Zweiten Überprüfungskonferenz vom September 1992 fallen auch Herbizide unter das Verbot der Umweltkriegführung, wenn deren Einsatz das „ökologische Gleichgewicht“ einer Region zerstört. Nach dem Ende des „Kalten Krieges“ wurde das Problem der C-Waffen international neu verhandelt. Am 29. April 1997 trat endlich das Chemiewaffenkonvention (CWK) in Kraft. Seitdem sind nicht nur der Einsatz, sondern auch die Herstellung und Lagerung von Chemiewaffen prinzipiell verboten. Weiterhin erlaubt bleibt der Einsatz von Reizgasen, etwa durch die Polizei. Außerdem kann man das Wissen um die Herstellung Chemischer Waffen nicht ausradieren, daher droht weiterhin ein Einsatz von Kampfstoffen durch Terrorgruppen.
Da mehrere Unterzeichnerstaaten über sehr große Bestände verfügten, wurde ihnen eine Übergangsfrist bis zum Jahr 2012 zur Entsorgung dieser „Altlasten“ eingeräumt. Allerdings konnten die USA und Russland diese Frist nicht einhalten, denn die Vernichtung von Chemiewaffen ist technisch viel schwieriger als ihre Herstellung. So muss der Kampfstoff bei rund 1000oC rückstandslos verbrannt werden, ohne dass Sprengstoffreste in der Bombe oder Granate explodieren.
Die USA besaßen insgesamt 31.500 Tonnen. Verbrennungsöfen entstanden auf dem Johnston-Atoll, in Tooele und Pine Bluff. Bis 2012 konnten die USA 90 Prozent ihrer Vorräte vernichten; bis 2023 soll das Programm komplett abgeschlossen sein. Russland „erbte“ von der früheren Sowjetunion rund 40.000 Tonnen Chemiewaffenvorräte. Seit 2002 entstanden mehrere Verbrennungsanlagen (Gorny, Kambarka, Mardikowsky, Schuchije und Leonidowka). Die Anlage in Kambarka wurde mit deutscher Hilfe errichtet. Russland konnte bisher erst 70 Prozent seiner Bestände vernichten.
Gemäß dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ wurden gegenseitige Inspektionen vereinbart. Dagegen hatte es lange Zeit Widerstand von Seiten der US-Regierung geben, die ihre chemische Industrie vor ausländischer Industriespionage schützen wollte. Die Kontrollen werden durch 500 Mitarbeiter der Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW) in Den Haag durchgeführt. Bisher haben 188 Staaten den Vertrag ratifiziert. Das weltweite Abrüstungsprogramm wird voraussichtlich über 50 Milliarden Dollar kosten.
Die Chemiewaffen sind somit Massenvernichtungsmittel des 20. Jahrhunderts: Sie wurden zu Anfang des Jahrhunderts entwickelt und werden seit Ende des Jahrhunderts „verschrottet“ bzw. delaboriert.
Auch nach der Verschrottung der Chemiewaffen bleiben die Gefahren der zivilen Chemieindustrie. In Deutschland ereignen sich jährlich 25 größere Störfälle in den 2.000 Chemiebetrieben und ca. 250 Verkehrsunfälle mit Gefahrstoffen.
BICC 11/2013