Landgrabbing

2008 prägte die Nichtregierungsorganisation GRAIN den Begriff Landgrabbing (Deutsch „Landnahme“, von eng. to grab = schnappen, grabschen) und bezeichnete damit den Landerwerb durch internationale Agrarkonzerne, private Investoren und staatliche Akteure mittels langfristiger Pacht- oder Kaufverträge von großen Agrarflächen. Inzwischen wird der Begriff auch auf betroffene Flächen für den Bergbau, Tourismus oder auch die Forstwirtschaft angewendet.

Die negative Konnotation des Begriffes ist auf die mit der Landnahme einhergehenden negativen Folgen für die Bewohner der betroffenen Flächen zurückzuführen. Oftmals kommt es zu der Zerstörung der Existenzgrundlage von Kleinbauern bei der Neuanlage von Plantagen, die häufig ohne eine Entschädigung erfolgt. Durch die niedrige Entlohnung von lokalen Arbeitern werden versprochene wirtschaftliche Anreize nicht geschaffen oder durch den Zuzug fremder Arbeiter die Arbeitslosigkeit der lokalen Bevölkerung sogar verstärkt. Darüber hinaus kommt es bei der Anlage von Monokulturen mit intensivem Pestizid- und Mineraldüngereinsatz zu einem starken und schädlichen Eingriff in die Umwelt.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Zwischen 2006 und 2008 verdoppelte sich die Zahl der Landinvestitionen in 44 Ländern. Seit 2000 stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel (abgebildet durch den FAO Nahrungspreisindex) und erreichten 2011 ein bis dahin nie gesehenes Hoch. Die treibenden Faktoren für diese rapide Entwicklung kann man in den drei sich beeinflussenden Bereichen Ernährung, Energie und Finanzen (food, fuel, finance) finden. Zum einen wird der Bedarf an Nahrung durch die wachsende Bevölkerung und sich verändernde Ernährungsgewohnheiten höher, gleichzeitig wird das landwirtschaftlich nutzbare Land durch Bevölkerungswachstum und Städtewachstum knapper. Darüber hinaus verschärfen Erosion und Desertifikation die Entwicklung in einigen Gebieten.

Auch die Erzeugung von Biomasse für die Energiegewinnung gewinnt immer stärker an Bedeutung und mit ihr geht die Verkleinerung der für die Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung stehenden Flächen einher. Befördert wurde dieser Prozess beispielweise auch durch die in Deutschland im Jahr 2006 als Biokraftstoffquotengesetz umgesetzte sogenannte Biokraftstoffrichtlinie des Europarates. Mit dem Gesetz wurde festgelegt, dass die Mineralölkonzerne einen festen und jährlich steigenden Anteil von Biokraftstoffen in den Verkehr zu bringen haben. Mit dieser Regelung soll eine Verringerung der Verbrennung mineralischer Kraftstoffe und so ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden. Konsequenterweise stieg die Nachfrage nach Biokraftstoffen auf dem Weltmarkt an. Der Anbau von Biokraftstoffen ist lukrativer und wird oft subventioniert. So kommt es, dass Land für Nahrungsmittel durch diese steigende Nachfrage nach Futtermitteln und Biokraftstoffen knapper wird.

In dem Maße, wie Bodenbesitz an finanzieller Bedeutung zunimmt, sind Landinvestitionen in das Blickfeld von Investoren gerückt. Ackerland wird als sichere Finanzanlage gesehen, eine Sichtweise, die durch die Immobilienkrise in den USA und die Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten begünstigt wird. Spekulationen mit Nahrungsmitteln treiben zudem die Preise in die Höhe.

Neben den rein auf finanziellen Profit ausgerichteten Agrarinvestoren, privaten Investitionsfonds und Finanzinstitutionen gibt es Länder, die staatliche Landkäufe initiieren. Als Investoren sind hier vor allem Länder aus Asien (bspw. China, Malaysia, Südkorea) oder dem arabischen Raum (Saudi-Arabien, Kuwait) zu nennen. Diese Regionen verzeichnen einen stark ansteigenden Bedarf an Nahrungsmitteln, Futterpflanzen und anderen Agrarrohstoffen. Gleichzeitig verfügen sie über geringe eigene landwirtschaftliche Produktionsfläche und sind so von Nahrungsmittelimporten abhängig. Auch hier spielten die extremen Preisschwankungen im Zuge der Nahrungsmittelkrise 2007/2008 eine Rolle, ebenso wie die zeitweise verhängten Exporteinschränkungen von Grundnahrungsmitteln einiger Länder. Die Investoren wollen unabhängiger vom Weltmarkt und seinen Preisschwankungen sein.

Gleichzeitig werden Investitionen in die Landwirtschaft von der FAO, der Weltbank und der Afrikanischen Union als eines der wichtigsten Instrumente für Wirtschaftswachstum und eine Reduzierung der Armut gefördert. Länder werden dabei unterstützt, sich für ausländische Direktinvestitionen im landwirtschaftlichen Bereich zu öffnen, da so vor allem in den ländlichen Gebieten große Entwicklungsmöglichkeiten gesehen werden.

Wieviel Land ist betroffen?

Obgleich das Phänomen Landgrabbing bereits seit 2008 bekannt ist, gibt es wenige verlässliche globale Daten über die Verteilung und die Größe der in Anspruch genommenen Flächen sowie die geplante bzw. tatsächliche Nutzung dieser Flächen. Dies liegt zum einen daran, dass es aufgrund mangelnder Transparenz bei den Verhandlungen dieser Landdeals nur wenige Daten tatsächlich offen gelegt werden. Zum anderen benutzen Institutionen, die solche Daten sammeln, verschiedene Definitionen von Landgrabbing. Dies erschwert die Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit der bereitgestellten Informationen.

Die vom Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) 2012 verwendete Definition beschreibt Landgrabbing als einen Prozess, bei dem sich internationale aber auch einheimische Investoren durch langfristige Pacht- oder Kaufverträge große Ländereien in Entwicklungs- und Schwellenländern sichern. In dem Strategiepapier des BMZ wird die „Landcoalition“ zitiert, die schätzt, dass in den Jahren 2000 bis 2010 ca. 200 Mio. ha Land für Investitionen vergeben worden seien. Von diesen entfielen rund 130 Mio. ha auf Afrika. Laut einer 2011 erschienen Studie der Weltbank werden jedoch nur 20% der in der Studie untersuchten Investitionsvorhaben tatsächlich produktiv benutzt.

Wo investiert Deutschland?

Deutsche Agrarunternehmen produzierten laut der unabhängigen Land Monitoring Initiative „LandMatrix“ im Jahr 2015 in Äthiopien, Ghana, Litauen, Madagaskar, Rumänien, Uganda, Tansania, Sambia und in Simbabwe. Die zahlenmäßigen meisten Investitionen befinden sich in Rumänien, die flächenmäßig größte Investition in Sambia. Während das angestrebte Investitionsziel in Osteuropa vorwiegend der Nahrungs- und Futtermittelsektor ist, sind für Biokraftstoffe vor allem die tropischen Länder interessant.

Wer investiert in Deutschland?

Verschiedenen Medienberichten zufolge sind vor allem Flächen in Brandenburg Deutschland beliebtes Investitionsziel. Die fünf größten Agrarinvestoren sind mit einer Ausnahme deutsche Firmen, die im Durchschnitt Flächen von 13.500 ha besitzen, während die durchschnittliche Betriebsgröße in Brandenburg bei 238ha liegt.

Welche Auswirkungen haben großflächige Landinvestitionen?

Während Landgrabbing global auftritt, also auch in Industriestaaten zu beobachten ist, sind die Folgen für ländliche Gemeinden und Kleinbauern in den Ländern des globalen Südens weitaus unmittelbarer. Die Weltbank und die FAO fördern die Investitionen als Mittel der Armutsbekämpfung und wirtschaftlichen Entwicklung als dringend nötig und sehen die Folgen als unbedingt positiv an. Denkfabriken, wie etwa das Okland Institute, internationale NGOs wie beispielsweise FIAN oder auch die LandMatrix, ein globaler Zusammenschluss von NGOs, universitärer und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen messen jedoch den Investitionen ein erhebliches kritisches Potential zu.

In den Zielländern im globalen Süden nimmt die Landwirtschaft einen hohen Anteil (oft 30-40%) am Bruttoinlandsprodukt ein und ist die größte Beschäftigungs- und Einkommenssparte für die Bevölkerung. Verlierer sind die Kleinbauern. Sie verfügen oft nicht über eingetragenen Nutzungs- oder Zugangsregeln für das Land. Sie verfügen über wenig oder kein Kapital, um Land zu kaufen. Bei Investitionen sind sie von Vertreibung bedroht, können aber nicht ausweichen. Es gibt keine alternative Beschäftigungs- und Erwerbsmöglichkeiten für sie. Bleiben sie, verschlechtert sich oft die Beschäftigungssituation, da auf den gepachteten Flächen intensive Landwirtschaft mit Hilfe von Maschinen, Düngemitteln und Pestiziden betrieben wird. Es werden weniger Menschen pro bearbeitete Fläche benötigt, die Beschäftigungseffekte der Investitionen bleiben hinter denen der Erwartungen zurück und können nur etwa die Hälfte der von Kleinbauern erreichen.

Quellen und weiterführende Informationen

  • oakland Institute
  • FIAN International
  • Landmatrix
  • Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2012): Investitionen in Land und das Phänomen „Land Grabbing“. Strategiepapier 2.
  • Deininger, K., Byerlee, B. (2011): Rising Global Interest in Farmland, Can it yield sustainable and equitable benefits?, Weltbank 2011.

BICC 12/2015


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