Umweltflüchtlinge

Es ist davon auszugehen, dass der Klimawandel zu solch tiefgreifenden und großflächigen Umweltveränderungen führen wird, dass vielerorts Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Vor diesen Abwanderungsbewegungen warnte der Autor des UN-Umweltprogramms Essam El-Hinnawi bereits 1985. Dennoch wird Migration, die aufgrund von Umweltdegradation und Wetterextremen stattfindet, als ein neues Phänomen angesehen.

Besonders betroffen sind Inselstaaten und Küstengebiete etwa in China, Indien, Bangladesch und Vietnam, die durch den steigenden Meeresspiegel von Überschwemmungen bedroht wären. Gleichzeitig nehmen Dürren und Stürme zu, die die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln weltweit negativ beeinflussen würden. Überdurchschnittlich betroffene Regionen sind bereits heute das Horn von Afrika, Mittelamerika und Asien. So flohen während der Dürre in Somalia (2010 und 2011) 300.000 Menschen.

Doch auch unabhängig vom Klimawandel können negative Umweltbedingungen Menschen abwandern lassen. Hierzu gehören eine starke regionale Umweltverschmutzung, die zunehmende qualitative Verschlechterung der Umwelt sowie Naturkatastrophen. Eine starke regionale Umweltverschmutzung (Fachwort „Deposition“) kann durch den übermäßigen Einsatz von Pestiziden in der industriellen Landwirtschaft, durch Rohstoffförderung (Öl, Uran, Gold) oder Giftmülllagerung verursacht werden. Auslöser kann aber auch eine nukleare Verseuchung nach einer atomaren Katastrophe oder nach Atomwaffenversuchen sein. Die Verschmutzung kann eine zunehmende Verschlechterung der Umwelt (Fachwort „Degradation“) hervorrufen, was ihre Nutzung durch den Menschen schwieriger bis unmöglich macht. Dies betrifft vor allem die Luft- und Bodenqualität oder auch den Mangel beziehungsweise Überfluss an Wasser. Im Zeitraum 1945 bis 1990 verursachte menschliches Handeln die starke bis sehr starke Degradation von über 1,2 Milliarden Hektar Land. Der zwei Drittel dieser Fläche lagen in Entwicklungsländern und damit in Regionen, in denen die Mehrheit der Bevölkerung direkt von der Landnutzung lebt. Naturkatastrophen (Fachbegriff „Desaster“) treten immer häufiger durch den Klimawandel bedingt auf – seien es Überschwemmungen durch den Anstieg des Meeresspiegels oder häufigere und stärkere Stürme und Dürren. Andere Katastrophen sind direkte Folgen menschlicher Eingriffe in die Natur und der daraus entstehenden Umweltdegradation, die z. B. zu Erdrutschen und Überschwemmungen führt. All diese Prozesse können auch zu sozialer Destabilisierung führen. Teile der Forschung nehmen an, dass so entstandene Konflikte weitere Fluchtbewegungen auslösen können.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) definiert heute Umweltmigranten als „alle diejenigen Personen, [...] die abwandern, weil Umweltveränderungen das Lebensumfeld direkt derart ungünstig verändern, dass erreichte Einkommens- und Lebensstandards nicht mehr aufrechterhalten werden können oder Strukturen zerstören, die zur Aufrechterhaltung dieser Standards notwendig sind“.

Allerdings ist der Begriff „Umweltflüchtling“ umstritten. Denn zum einen legt er nahe, dass allein die Umweltveränderung Auslöser für die Abwanderung ist. Dies ist jedoch empirisch nicht nachvollziehbar, da in der Realität immer auch politische und sozio-ökonomische Faktoren eine wichtige Rolle für Fluchtbewegungen spielen. Zum anderen geht es um den Begriff „Flüchtling“ selbst. Denn laut der Genfer Flüchtlingskonvention sind Flüchtlinge Personen, die „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ ihr Land verlassen. Streng genommen gelten also „Umweltflüchtlinge“ völkerrechtlich nicht als „Flüchtlinge“. Diese „Definitionslücke“ könnte sich in der Praxis negativ auf die Betroffenen auswirken, wenn es um Schutz und Rechte geht, die von ihrem offiziellen Status abhängen.

In welcher Größenordnung sich die durch Umweltveränderungen erzwungene Migration abspielen wird, ist spekulativ. Der Großteil dieser Menschen wird jedoch wahrscheinlich – wie auch in Folge anderer Fluchtursachen – in anderen, weniger betroffenen Landesteilen oder in Nachbarstaaten Zuflucht suchen. Erst recht ist nicht vorhersehbar, wie viele Menschen in Europa Zuflucht suchen werden Entsprechende groß gerechnete „Bedrohungsszenarien“ und eine „Versicherheitlichung“ der Debatte helfen hier nicht weiter. Stattdessen sollten die Eindämmung des Klimawandels und eine Migrationspolitik, die sich an den Grundsätzen der Menschlichkeit, der Menschenwürde und der Menschenrechte ausrichtet, im Mittelpunkt stehen.

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 12/2015


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