Wasser - Konflikt oder Kooperation?

Seit Ende der 1980er Jahre ist der Zusammenhang von Umwelt(degradation), (Gewalt-)Konflikt und Sicherheit Gegenstand sowohl öffentlicher und politischer Debatten als auch sozialwissenschaftlicher Forschung. Mehrere umfassende Forschungsprojekte haben sich in den 90er Jahren der Thematik „Kriegsursache Umweltzerstörung“ (so der Titel des Abschlussberichtes eines Vorhabens) gewidmet. Seither gibt es eine fest etablierte Forschungsrichtung zu Umweltkonflikten und zu „ökologischer Sicherheit“.

Konflikte über die Nutzung der Wasserressourcen wurden im Kontext dieses Diskurses über „Umwelt und Sicherheit“ lange Zeit als besonders eskalationsträchtig angesehen. In besonderem Maße trifft dies auf Flüsse bzw. internationaler Flussgebiete zu, die annähernd die Hälfte der Landoberfläche der Erde einnehmen und rund 40 Prozent der Weltbevölkerung beheimaten. Daraus leitete sich die These von den „Wasserkriegen“ als Kriegen der Zukunft ab. Die Ausgangslage lässt sich knapp wie folgt umreißen: „Wasser fließt, und Flüsse kennen keine Grenzen. Fließende Gewässer sind das augenscheinlichste Beispiel für den generellen Widerspruch zwischen den natürlichen Grenzen von Ökoregionen und den historisch gewachsenen Grenzen von Nationalstaaten“ (Bächler et. al. 1996: 122). Grenzüberschreitende Fließgewässer können zum Anlass und Gegenstand zwischenstaatlicher Konflikte werden. Da es gegenwärtig mehr als 260 internationale Flusssysteme gibt, von denen wiederum viele mehr als zwei Anrainerstaaten haben, lässt sich eine erhebliche Zahl solcher (potenzieller) Konfliktkonstellationen ausmachen. Zahlreiche Staaten sind von Wasserressourcen abhängig, deren Quellen außerhalb des eigenen Territoriums liegen. Ägypten und Turkmenistan etwa sind nahezu vollständig vom Wasserzufluss aus dem Ausland abhängig. Bereits Abhängigkeiten von über einem Drittel werden als hoch und kritisch angesehen, besonders in wasserknappen ariden und semi-ariden Regionen.

Die Konflikthaltigkeit von Süßwasser ergibt sich daraus, dass es sich um eine erneuerbare und damit ökologisch degradierbare Ressource handelt. Ökologische Degradation kann prinzipiell in zweierlei Form auftreten: Als Übernutzung der Ressource (also Nutzung in einem Maße, welches die natürliche quantitative Regenerationsfähigkeit übersteigt) und als Kontamination der Ressource (also Nutzung in einem Maße, welches die qualitative Regenerationsfähigkeit derart beeinträchtigt, dass sie für bisherige Nutzungsformen nicht mehr zur Verfügung steht (Verschmutzung, Vergiftung)). Sowohl der quantitative als auch der qualitative Aspekt ökologischer Degradation machen Konflikte an grenzüberschreitenden Flüssen möglich.

Konflikte zwischen den Anliegern internationaler Flüsse wurden als besonders eskalationsträchtig angesehen auf Grund der Ober- /Unteranliegerkonstellationen, die sowohl in Hinsicht auf den quantitativen Aspekt, die absolute und relative Wasserverteilung, als auch den qualitativen Aspekt, Verschmutzung und Vergiftung, d.h. die ökologische Degradation zu eindeutigen Positionsdifferenzen und Interessenkollisionen führen.

  • Bei Konflikten um die absolute Wasserverteilung, die sich aus der konsumtiven Nutzung des teilbaren Gutes Wasser ergeben, besteht zwischen Ober- und Unteranliegern eine absolute Asymmetrie der Nutzungschancen. Der Oberanlieger konsumiert das Wasser (für Bewässerungsprojekte, städtische Versorgung etc.) zu eigenen Zwecken und gräbt damit dem Unteranlieger das Wasser ab. Dem Unteranlieger steht das derart konsumierte Wasser nicht mehr zu eigener Nutzung zur Verfügung; überdies hat er mit den ökologischen Folgen verminderten Wasserzuflusses (z.B. Zerstörung von Feuchtbiotopen, Austrocknung von Seen, Eindringen von Meerwasser in den Unterlauf des Flusses) zu kämpfen, d.h.: Der Oberanlieger kann Kosten der Wasserentnahme zu Ungunsten des Unteranliegers externalisieren.

  • Konflikte um die relative Wasserverteilung beziehen sich ebenfalls auf den quantitativen Aspekt; allerdings geht es hier nicht um die Konsumtion der Ressource, sondern um die relative Verteilung des Wasserabflusses in der Zeit – also die zeitweise Zurückhaltung von Wasser durch den Oberanlieger für eigene Zwecke (Staudämme zur Energiegewinnung und zur intersaisonalen Regulierung des Wasserflusses). Hierbei wird dem Unteranlieger die Ressource nicht völlig entzogen, sondern lediglich zeitweilig vorenthalten. Auch dies kann zu Ober-/Unteranliegerkonflikten führen, weil dem Unteranlieger Kosten entstehen (keine Verfügbarkeit ausreichender Wassermengen zu bestimmten Zeiten für eigene Zwecke (Bewässerung usw.) - womöglich gar dann, wenn Wasser besonders dringend gebraucht wird (Trockenzeiten); ökologische Schäden (z.B. Versalzung)).

  • Konflikte auf Grund grenzüberschreitender Wasserverschmutzung schließlich ergeben sich daraus, dass Oberanlieger die Kosten der (Über-)Beanspruchung der Fließgewässer als Senke auf die Unteranlieger – zumindest zeit- und teilweise - abwälzen können. Mechanisierung der Landwirtschaft, Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden, Einleitung kommunaler Abwässer, industrielle Giftstoffimmissionen, bergbauliche Rückstände usw. tragen zur qualitativen Degradation der Ressource bei. Anders als bei Konflikten um die absolute und relative Verteilung des Wassers geht es hier also um die Qualität.

Aus diesen Konflikttypologien und der den Konflikten zugerechneten Eskalationsträchtigkeit wurde die Vermutung abgeleitet, dass mit gewaltsamen Konflikten – insbesondere über die absolute Verteilung des Wassers grenzüberschreitender Flussgebiete in wasserknappen Regionen – zu rechnen sei. Zugespitzt wurde diese Argumentation zur These von den „Wasserkriegen“ als den Gewaltkonflikten des 21. Jahrhunderts. Zur Illustration dieser These wurden besonders zugespitzte Konfliktkonstellationen an einzelnen internationalen Flussläufen heran gezogen. Immer wieder wurden etwa die Fälle Nil, Jordan, Euphrat/Tigris, Amu-Darja/Syr-Darja und Brahmaputra-Ganges bemüht, in denen ein gewaltsamer Konfliktaustrag angedroht wurde.

Eine umfassende Bestandsaufnahme legte schließlich das Basins at Risk (BAR) – Projekt der Projektgruppe um Aaron T. Wolf an der Oregon State University vor. Die empirischen Befunde dieser Projektgruppe, die in der Transboundary Freshwater Dispute Data Base (TFDD) niedergelegt sind, trugen erheblich zur Relativierung des „Wasserkriegs“-Theorems bei. In dieser Datenbank sind über den Zeitraum der letzten fast 60 Jahre alle zwischenstaatlichen Interaktionen in grenzüberschreitenden Flussgebieten erfasst. Von den weltweit dokumentierten Interaktionen zwischen Flussanliegern hatte die große Mehrheit (ca. 70 Prozent) kooperativen Charakter. In der Datenbank findet sich kein einziges Ereignis, welches als „Wasserkrieg“ zu qualifizieren wäre. Selbst für Konflikte über die absolute Verteilung von grenzüberschreitenden Flussgebieten in semi-ariden oder ariden Regionen konnte mithin kein Automatismus zu gewaltsamem Konfliktaustrag festgestellt werden. Gleichwohl identifizierte die Forschungsgruppe weiterhin 20 Risikoflussgebiete („Basins at Risk“), also solche Flussgebiete, bei denen eine Konflikteskalation oder gar ein gewaltsamer Konfliktaustrag in absehbarer Zukunft nicht auszuschließen ist. Genannt werden: Aralsee, Ganges-Brahmaputra, Han, Incomati, Jordan, Kunene, Kura-Araks, La Plata, Lempa, Limpopo, Mekong, Nil, Ob, Okavango, Orange, Salween, Senegal, Tigris-Euphrat, Tumen, Sambesi.

Zu konstatieren sind zwei blinde Flecken des BAR-Projekts. Zum ersten erfasst es lediglich zwischenstaatliche Interaktionen. Innerstaatliche Konfliktpotenziale, die die große Mehrheit der zeitgenössischen Kriege und Gewaltkonflikte ausmachen, werden hingegen nicht berücksichtigt. So wurden ein möglicher gewaltsamer Konfliktaustrag und auch manifeste Gewaltkonflikte über die Wasserressourcen grenzüberschreitender Flussgebiete im sub-nationalen Rahmen nicht erfasst. Zum anderen lässt es Aspekte im Kontext von Klimawandel (veränderte Niederschlagsmuster und höhere Variabilität), die künftige Konfliktkonstellationen womöglich maßgeblich mit prägen werden, als Indikatoren zur Identifizierung der o.g. Risikoflussgebiete außer Acht.

Zur Prävention gewaltsamer wasserbezogener sowohl innerstaatlicher als auch grenzüberschreitender Kon flikte ist es geboten, die bisher benachteiligten armen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen stärker in das Wassermanagement einzubeziehen. Die Beteiligung der Betroffenen (Stakeholder Participation) ist zwar eine mittlerweile allseits beliebte und gern gebrauchte Formel, doch die tatsächliche Umsetzung stößt auf erhebliche interne und externe Schwierigkeiten und Widerstände. Einen möglichen Ansatz mag der Rückgriff auf lokale traditionelle, vorstaatliche Einrichtungen sowie Methoden des Wassermanagements und der Konfliktregelung bieten. Gerade in Regionen relativ schwacher Staatlichkeit und somit nicht wirksamer öffentlicher Institutionen helfen solche traditionalistischen „informellen“ Institutionen insbesondere der ländlichen Bevölkerung bei der Bewältigung ihrer Alltagsprobleme.

Internationale Geber und staatliche Instanzen, die ausschließlich auf modernes Wassermanagement im staatlichen Kontext festgelegt sind, haben diese Dimension allerdings nach wie vor kaum im Blick. Von ihnen wird Wassermanagement meist nur als (zwischen-)staatliche Angelegenheit verstanden. Doch das ist zur Vermeidung von Konflikten unzulänglich. Eine Verbindung von modernen staatlichen, traditionellen lokalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und Institutionen hingegen kann zu neuen Lösungsansätzen und nicht ausschließlich staatszentrierten Handlungsorientierungen führen. Internationale Organisationen, Geberstaaten und internationale Nichtregierungsorganisationen (NRO) können zu diesem Wandel beitragen, indem sie Informationen bereitstellen, Wissen vermitteln und sich im Bereich des capacity building engagieren.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Nicht die Wasserknappheit an sich ist potenzieller Anlass für Gewaltkonflikte, sondern die gesellschaftliche Organisation des Ressourcenmanagements. Der Weltwasserbericht der Vereinten Nationen konstatiert zu Recht: Die Wasserkrise ist kein vom menschlichen Handeln unabhängiges Naturphänomen, sondern eine Krise der Regularien. Notwendig ist mithin good water governance auf beiden Seiten, Geber- wie Nehmerländer.

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 12/2015


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