Virtuelles Wasser

Die Ausgangslage

Trotz der Erfolge in den zurückliegenden 15 Jahren mehr Menschen einen sicheren Zugang zu sauberem Wasser zu gewähren, haben heute immer noch rund 10% der Weltbevölkerung keinen entsprechenden Zugang zu sauberem Wasser. Laut den Vereinten Nationen leiden heute noch rund 800 Millionen Menschen in mehr als 80 Ländern an absoluter bzw. chronischer Wasserknappheit oder sind einem dauernden Stress bei der Beschaffung des täglichen Wasservorrats ausgesetzt. Untersuchungen der Vereinten Nationen, regelmäßig veröffentlicht in den Weltwasserentwicklungsberichten, prognostizieren jedoch unter anderem bedingt durch den fortschreitenden Klimawandel und das anhaltende Bevölkerungswachstum eine Zunahme der Wasserknappheit in vielen Regionen der Welt; selbst in Mittel- und Südeuropa soll diese Verknappung der Wasserressourcen bis zum Jahr 2070 deutlich spürbar sein.

Aus diesem Grund gelten die internationalen und nationalen Bemühungen vor allem dem nachhaltigen Schutz sowie dem nachhaltigen Management der Wasserressourcen, um nicht nur der heutigen Weltbevölkerung, sondern auch zukünftigen Generationen Wasser in ausreichendem Maße und Qualität zur Verfügung zu stellen.

Das Problem ist dabei primär nicht die absolute Menge der Süßwasserressourcen. Global betrachtet reichen diese Ressourcen bei weitem für die Versorgung der Weltbevölkerung aus. Vielmehr ist es ein Problem des ungleichen Vorkommens sowie der Verteilung der verfügbaren Wasserressourcen.

Virtuelles Wasser – Virtueller Wasserhandel

Insbesondere in trockenen Regionen wird wertvolles Süßwasser für die künstliche Bewässerung von Agrarflächen benutzt. So hat beispielsweise die Anzapfung eines gigantischen eiszeitlichen Grundwasserkörpers im Nordosten Saudi-Arabiens dazu geführt, dass trockene Wüste in eine blühende Agrarlandschaft verwandelt wurde. Saudi-Arabien hatte sich demnach kurzzeitig Mitte der 1990er Jahre zu einem weltweit bedeutenden Weizen-Exporteur entwickelt. Da sich Grundwasser aufgrund der geringen Niederschlagsmenge in dieser Region nicht neu bildet, ist die Nutzung der wertvollen fossilen Süßwasserressourcen für den Nahrungsmittelexport ökonomisch und ökologisch zumindest fraglich. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, dass besonders wasserarme Regionen wasserintensive Produkte exportieren, anstatt dieses zu sparen und ressourcenschonender zu nutzen.

Im wasserreichen Deutschland hingegen scheint Wassermangel auf den ersten Blick nicht zu existieren - die klimatischen Bedingungen in den gemäßigten Breiten sorgen für ausreichend Frischwasser. Hinzu kommt, dass der durchschnittliche Wasserverbrauch in den meisten Industrieländern, so auch in Deutschland, in den letzten Jahren rückläufig ist. Während im Jahr 1990 noch 147 Liter pro Kopf und pro Tag in Deutschland verbraucht wurden, so waren es im Jahr 2014 lediglich 121 Liter. Diese zunächst positiv erscheinende Entwicklung verschweigt jedoch den tatsächlichen Wasserverbrauch, der den direkten Frischwasser-Verbrauch oftmals um ein Vielfaches übersteigt.

Internationale Aufmerksamkeit erreichte diesbezüglich das in den frühen 1990er Jahren entwickelte Konzept des Virtuellen Wassers, für das der britische Geograph Tony Allen 2008 mit dem „Stockholmer Wasserpreis“ ausgezeichnet wurde. Als virtuelles Wasser wird die Menge an Frischwasser eines Lebensmittel- oder Industrieproduktes bezeichnet, die im gesamten Produktionsprozess verbraucht wird.

Indem die jeweiligen Produktionsschritte eines Produktes genauestens analysiert werden, lässt sich die Menge an virtuellem Wasser feststellen. Beim Genuss einer Tasse Kaffee muss folglich bedacht werden, dass 140 Liter an virtuellem Wasser in der Produktion versteckt sind. In einem Kilogramm Kartoffeln stecken rund 255 Liter, in einem Kilogramm Weizen 1300 Liter und in einem Kilogramm Reis sogar 3400 Liter virtuelles Wasser. Neben Obst und Gemüseprodukten fallen insbesondere tierische Produkte ins Gewicht. Berechnungen zufolge sind im täglichen Frühstücksei 200 Liter und in einer Scheibe Käse 100 Liter virtuelles Wasser enthalten. Spitzenreiter ist allerdings Rindfleisch: Ausgehend von einer dreijährigen Intensivhaltung von Rindern, in der ein Rind tonnenweise Futtermittel und Wasser konsumiert, beträgt die Menge an virtuellen Wasser für ein Kilogramm Rindfleisch rund 15.455 Liter.

Überträgt man dieses Konzept auf Industrieprodukte, so fällt zunächst die wasserintensive Textilindustrie auf. Allein in einem T-Shirt aus Baumwolle stecken 4.100 Liter an virtuellem Wasser, in einem Paar Schuhe rund 8.000 Liter. In der Produktion eines modernen Autos stecken sogar rund 40.000 Liter, wobei diese Zahl je nach Größe und Produktionsart stark abweichen kann.

Bei allen genannten Zahlen muss bedacht werden, dass sich diese auf den weltweiten Durchschnittswert beziehen. Während in manchen Regionen der Erde Niederschlag (grünes Wasser) als Bewässerung ausreicht, so ist in vielen anderen Regionen eine künstliche Bewässerung unabdingbar. Folglich lässt sich beispielsweise 1 Kg Getreide in den Niederlanden mit weitaus weniger Einsatz an virtuellem Wasser anbauen als in Australien. Neben den klimatischen Faktoren spielt überdies der Einsatz von Technik eine bedeutende Rolle. Dies lässt sich anschaulich anhand der Weizenproduktion der Slowakei und Somalia erklären. Während in der Slowakei lediglich 465 Liter Wasser pro Kilogramm aufgewendet werden müssen, so sind dies schätzungsweise 18.000 Liter pro Kilogramm in Somalia.

In Anknüpfung an diese Überlegungen führte Anfang der 2000er Jahre der niederländische Forscher Arjen Hoekstra den Begriff des „Wasserfußabdrucks“ in die Debatte um den globalen Wasserkonsum ein. Der Wasserfußabdruck beschreibt den gesamten Wasserverbrauch eines Landes, wird jedoch oftmals zur besseren Veranschaulichung pro Kopf und pro Tag angegeben. Unterschieden wird zwischen dem direkten und indirekten Wasserfußabdruck, wobei letzterer auch diejenige Menge an Wasser einbezieht, die im Ausland für Produkte verbraucht wird, die in Deutschland genutzt werden.

Stärken und Schwächen des Virtuellen Wasserhandels

Befürworter des Konzeptes stellen die These auf, dass der Virtuelle Wasserhandel auf nationaler Ebene zu Spareffekten führen kann, da vorhandenes Wasser ökologisch und ökonomisch sinnvoller eingesetzt werden könnte. Ferner wird auf die positiven Effekte eines möglichen Strukturwandels hingewiesen, der nach und nach in wasserarmen Ländern im Zuge einer Abkehr von landwirtschaftlicher Produktion einsetzen könnte. Darüber hinaus wird dem Virtuellen Wasserhandel das Potential zugesagt, Konflikte um Wasser, die zu lokalen Spannungen führen können, im Vorhinein zu verhindern bzw. zu entschärfen.

Tony Allens Konzept zielt darauf ab, dass insbesondere die wasserintensive landwirtschaftliche Produktion, die für rund vier Fünftel des weltweiten Virtuellen Wasserhandels aufkommen, in wasserreiche Gegenden der Erde verlagert wird. Der Logik des Konzepts folgend, sollten trockene, wasserarme Staaten virtuelles Wasser importieren, um die eigenen Ressourcen zu schonen. Ursprünglich wurde das Konzept des virtuellen Wasserhandels für die MENA-Region entwickelt, in der klimabedingt das Thema Nahrungsmittelsicherheit eine wichtige Rolle spielt. Auch wenn es weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll ist in diesen Gegenden mittels hohem technischen- und ressourcenintensiven Einsatz Landwirtschaft zu betreiben, so überwiegt teilweise das politische Ziel Nahrungsmittel-autark zu werden, um nicht von Importen abhängig zu sein. Darüber hinaus werden einige weitere Herausforderungen bzw. Hemmnisse für einen erfolgreichen weltweiten Handel mit Virtuellen Wasser diskutiert. Zum einen sei der stark schwankende Preis für Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt genannt. Nur wenn dieser frei von politischen Beeinträchtigungen und die Preise konstant und vorhersehbar wären, ließe sich das Konzept umsetzen. Zum anderen stellt die benötige Besteuerung von Wasser eine große Herausforderung dar. Wasser zu Bewässerungszwecken wird in vielen Ländern aus politischen Gründen subventioniert oder gar kostenlos zur Verfügung gestellt. Bei einer eventuellen Besteuerung von Bewässerungswasser, wie es zum Beispiel in Australien seit Mitte der 1990er Jahre in Form von Wasserzertifikaten angewandt wird, müssen vor allem arme Kleinbauern bedacht werden.

Anknüpfend an die Kritik der wachsenden wirtschaftlichen Abhängigkeit zwischen wasserarmen und wasserreichen Staaten wird zudem der globale Transport von Lebensmitteln kritisch gesehen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen globalen Erwärmung sollte eine Ausweitung bzw. ein Festhalten an globalen Warentransport aufgrund der hohen Treibhausgas-Emissionen reduziert und vermieden werden. Das Konzept des Virtuellen Wasserhandels könnte zwar den inländischen Wasserfußabdruck eines Landes verringern, gleichzeitig jedoch zu einer Erhöhung des CO2-Fußabdruckes führen. Dieser in der Wissenschaft als Trade-Off bezeichnete Effekt könnte dazu führen, dass das Konzept des Virtuellen Wasserhandels ungewollte negative ökologische Folgen hat.

Fazit

Das Konzept des Virtuellen Wasserhandels hat zunächst eine Bewusstseinsschärfung für den tatsächlichen alltäglichen Wasserverbrauch zur Folge. Dem Konzept folgten weitere Studien und Projekte, die einen integrativen wissenschaftlichen Diskurs über die Ungleichheiten des globalen Wasserkonsums angeregt haben. Für Konsumenten und Politiker dient insbesondere der Begriff des Wasserfußabdrucks als Handlungsorientierung und zielt auf ein umweltbewussteres Konsumverhalten ab.

Als politischer Top-Down Ansatz ist das Konzept hingegen nicht durchführbar. Neben einer Vielzahl an möglichen Hemmnissen sowie negativer Nebeneffekte, gibt es darüber hinaus keine internationale Instanz, die einen solchen Virtuellen Wasserhandel diktieren könnte. Allerdings kann das Konzept durchaus für wasserarme Staaten sinnvoll sein, die über ausreichend Devisen durch nicht-landwirtschaftliche Wirtschaftszweige verfügen, indem sie einen regionalen Virtuellen Wasserhandel mit wasserreichen Nachbarstaaten eingehen. In ähnlicher Weise könnten Länder, die sich über mehrere Klimazonen erstrecken, von dem Konzept profitieren.

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 12/2015


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