Fallstudie DD&R Sudan

Am 9. Juli 2011 kam es im Sudan zu einem historischen Ereignis: Der Süden des Landes spaltete sich als neuer Staat, der Republik Südsudan, vom Rest des Landes ab. Der Weg dahin war lang und blutig. Viele Jahre herrschte Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd. Seit 1983 standen sich die Regierungsarmee, die Sudan Armed Forces (SAF) und die Rebellen der Sudan People’s Liberation Army (SPLA) als wesentliche Konfliktparteien gegenüber.

Am 9. Januar 2005 endlich unterschrieben die Regierung des Sudans und die SPLA das „Umfassende Friedensabkommen“ (eng. Comprehensive Peace Agreement - CPA). Mit dem Ende des Krieges mandatierten die Vereinten Nationen im März 2005 eine Friedensmission, die United Nations Mission in Sudan (UNMIS), um den Sudan bei der Umsetzung des Friedensvertrages zu unterstützen. In diesem Friedensabkommen wurde – neben einer Autonomie für den Südsudan sowie freien Wahlen - vereinbart, dass der Süden nach sechs Jahren (2011) durch Abstimmung zwischen dem Verbleib in der Einheit mit dem Norden und der eigenen Staatsgründung entscheiden durfte. Im Rahmen des CPA vereinbarten beide Seiten auch die Demobilisierung von jeweils 90.000 Kämpferinnen und Kämpfern in beiden Landesteilen. Zur Unterstützung dieses Prozesses bildeten die Vereinten Nationen eine eigene Einheit bestehend aus Vertretern von UNMIS, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und dem Kinderhilfswerk UNICEF. UNDP wurde damit beauftragt, die Finanzmittel zu verwalten, die Staaten wie Deutschland für das Programm eingezahlt haben. Auch auf Seiten der Regierung wurden zwei Kommissionen im Nord- und Südsudan gebildet um die Planung und Umsetzung des DD&R-Programms (eng. Demilitarisation, Demobilisation and Reintegration) zu überwachen.

Allerdings verzögerte sich der – eigentlich für Sommer 2005 – geplante Start des Programms zur Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung um fast vier Jahre bis zum Frühjahr 2009. Hierfür dürfte vor allem der langsame Start der Friedensmission UNMIS sein, die erst 2007/2008 in voller Stärke im Südsudan präsent war. Bis zu diesem Zeitpunkt kontrollierten bewaffnete Milizen mit häufig unklarer Loyalität weite Landesteile. Die von der SPLA-dominierte Übergangsregierung des Südsudans regierte auf diese Bedrohung vor allem durch die Integration weiterer Gruppen in die eigenen Streitkräfte. Mit Einnahmen aus den reichen Erdöleinnahmen des Landes schuf sie so eine gutbezahlte, aber ethnisch und politisch heterogene Armee, deren Stärke von vielleicht 60.000 Kämpfern bei Kriegsende auf über 200.000 Soldaten zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit anstieg. Im extrem armen und unterentwickelten Südsudan bietet eine Tätigkeit im Militär ein sicheres Einkommen und soziales Prestige. Das Programm zur Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung wurde dadurch wesentlich erschwert – bieten doch nur wenige zivile Berufe ähnliche Einkommensmöglichkeiten.

Das DD&R-Programm schlug dagegen den Betroffenen vor allem eine relativ kurze berufliche Ausbildung etwa als Schreiner oder Automechaniker an. Andere ehemalige Kombattantinnen und Kombattanten entschieden sich in seinem Rahmen für eine Selbständigkeit als Markthändler oder Landwirt. Das Geld für diese Programme stammt vor allem von der westlichen Gebergemeinschaft, darunter auch von der Bundesregierung. Angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Zukunft auf dem freien Markt kann es nicht verwundern, dass sich nur wenige Soldaten freiwillig für eine Demobilisierung entschieden. Demobilisiert wurden vor allem ehemalige Kindersoldaten, Frauen und Kriegsversehrte sowie ältere Angehörige der beiden Konfliktparteien. Jüngere und gesunde Soldaten blieben dagegen – auch vor dem Hintergrund der anhaltenden Spannungen zwischen Nord- und Südsudan weiterhin auf der Soldliste. Das DD&R-Programm hatte damit in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeit mit einem Wohlfahrtsprogramm für Kriegsveteranen, leistete aber keinen direkten Beitrag zur Entwaffnung der Kriegsparteien oder zur Stabilisierung des Landes.

War das Programm bislang ein Erfolg? Leider blieb die Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung in beiden Landesteilen weit hinter den Erwartungen zurück. Bis zur Unabhängigkeit wurden im Nordsudan 37.000 Personen und im Südsudan sogar nur etwa 12.000 Menschen demobilisiert. Für diese relativ niedrigen Zahlen gibt es mehrere Gründe. Einerseits sorgte die massive Verzögerung beim Programmstart dafür, dass es vor allem für die gut bezahlten SPLA-Angehörigen im Südsudan nicht attraktiv war – hätte man früher mit der Umsetzung begonnen, wäre dies möglicherweise anders gewesen. Andererseits waren die Programme auch nicht ausreichend standardisiert. So gab es in einem Landesteil Bargeld als Teil der Reintegrationsunterstützung und in anderen Teilen nicht. Die Länge und Tiefe der Reintegrationsunterstützung war oft unterschiedlich, je nach durchführender Organisation. Auch war die individuelle Entscheidung, welche Person Zugang zum DD&R-Programm bekommt und wer nicht, oft nicht ausreichend transparent. Vor allem von Seiten der Regierung des Südsudans wurde der Vorwurf erhoben, dass die beteiligten internationalen Organisationen Gelder vorwiegend für die hohen Gehälter der eigenen Mitarbeiter verwendeten, während nur ein relativ geringer Teil direkt den ehemaligen Kombattanten zu Gute gekommen sei. Interne Untersuchungen der Vereinten Nationen haben diesen Vorwurf teilweise bestätigt.

Abschließend kommt hinzu, dass das Programm nicht ausreichend an die Gegebenheiten im Sudan und seinen Landesteilen angepasst und zu wenig auf die Bedingungen und Wünsche der politischen und militärischen Führung abgestimmt waren. Die Probleme des Programms frustrierten nicht zuletzt seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die enttäuschten Erwartungen führten teilweise zu gewalttätigen Protesten. Anstatt einen Beitrag zur Befriedung des Landes zu leisten, steigerte das DD&R-Programm die Spannungen und internen Konflikte.

Anfang 2011 wurde die Entwaffnung und Demobilisierung im Südsudan ausgesetzt, weil das Programm nicht den Erwartungen und Anforderungen entsprach. Im Nordsudan ging dieser Prozess jedoch bis zum Juni 2011 und zum Abzug der Friedensmission weiter. Zurzeit arbeiten die Regierungen in beiden Landesteilen an einer zweiten Programmphase. Im Südsudan geht es vor allem um die Verkleinerung der Sicherheitskräfte – angestrebt ist eine Reduktion um 150.000 Soldaten innerhalb von sechs bis acht Jahren. Dies soll vor allem durch verstärkte Ausbildungsmaßnahmen sowie eine verbesserte materielle Absicherung der Teilnehmer erfolgen. Im Nordsudan ist dagegen die Demobilisierung von weiteren 50.000 Teilnehmern bis Ende 2013 vorgesehen. Hier soll der Schwerpunkt der vor allem auf der Unterstützung der aufnehmenden Dorfgemeinschaften sowie im Aufbau von Genossen­schaften liegen. Das DD&R-Programm im Sudan ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung nicht als einen überwiegend technischen Prozess zu verstehen. Vielmehr geht es auch um eine politisch sensible Vorgehensweise, die unbedingt an die jeweiligen Zustände, Bedingungen und Wünsche der Länder angepasst werden muss.

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 11/2011


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