Fallstudie Friedensmissionen in Kambodscha

Als Nachbarland von Vietnam war Kambodscha seit den 1960er Jahren auch Austragungsort des Vietnamkrieges der USA. Eine Folge war ein andauernder Bürgerkrieg. 1970 stürzte der kambodschanische General Lon Sol mit Unterstützung der USA den Staatschef Prinz Sihanouk, der eine politische Neutralität des Landes im Vietnamkrieg verfolgte. Den anschließenden Bürgerkrieg gewannen 1975 die kommunistischen Roten Khmer unter ihrem Anführer Pol Pot. Zwischen 1975 und 1979 fielen dem sogenannten „Steinzeit-Kommunismus“ von Pol Pot durch Hungersnöte, Zwangsumsiedlungen, Vernichtungslager und Terror zwischen einer und zwei Millionen Kambodschaner zum Opfer – 12 bis 25 Prozent der Bevölkerung.

Nach wiederholten Grenzprovokationen durch Pol Pot gegenüber Vietnam marschierten 1979 vietnamesische Truppen in Phnom Penh ein, vertrieben das Schreckensregime von Pol Pot und etablierten eine neue, von ihnen abhängige Regierung . Dagegen verbündeten sich Truppen der Roten Khmer, von Prinz Sihanouk und konservative Lon Sol-Anhänger, kämpften militärisch gegen die neue Regierung und bildeten eine von Pol Pot dominierte Exilregierung. Entsprechend der damals vorherrschenden Logik des Kalten Krieges versuchten die USA und ihre Verbündeten die vom sozialistischen Vietnam eingesetzte Regierung international zu isolieren, um eine Ausweitung des Kommunismus zu verhindern. Deshalb unterstützten sie die Guerilla-Bewegung, obwohl die des Massenmordes schuldigen Roten Khmer daran beteiligt waren. Die Massenmorde – manche sprechen auch vom Völkermord am eigenen Volk – der Roten Khmer wurden von den westlichen Regierungen nicht sonderlich beachtet.

Noch in den Zeiten der Ost-Westkonfrontation versuchten die Vereinten Nationen zwischen den Bürgerkriegsparteien zu vermitteln. Als der Kalte Krieg seinem Ende zuging und zudem Vietnam 1989 seine Truppen aus Kambodscha abzog, intensivierten sich die diplomatischen Bemühungen der UN. Die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat arbeiteten nun konstruktiv zusammen. Im Juni 1991 wurde ein Waffenstillstand, im Oktober 1991 in Paris ein Friedensabkommen von den vier kambodschanischen Fraktionen unterzeichnet. Es sah die Bildung einer gemeinsamen Regierung vor, die jedoch die politische Macht für eine Übergangsphase an die Vereinten Nationen abgeben sollte. Der UN-Sicherheitsrat beschloss daraufhin am 16. Oktober 1991 einstimmig in der Resolution 717 die Einrichtung der „Vorausmission der Vereinten Nationen in Kambodscha“ (United Nations Advance Mission in Cambodia - UNAMIC). Am 28. Februar 1992 beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 745, die die UNAMIC durch eine UN-geführte friedenserhaltende (peacekeeping) Mission ablöste. Von März 1992 bis zum November 1993 fand die „Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Kambodscha“ (United Nations Transitional Authority in Cambodia - UNTAC) statt.

Ziele und Aufgaben der Missionen

Die wichtigste Aufgabe der UNTAC bestand darin, die Umsetzung des Pariser Friedensabkommens zu gewährleisten. Am wichtigsten war dabei, innerhalb von neun Monaten demokratische Wahlen in Kambodscha durchzuführen. So sollte das Nebeneinander zweier Regierungen und der Bürgerkrieg endgültig beendet und durch eine demokratisch verfasste, konstitutionelle Monarchie abgelöst werden. Dafür wurde zum ersten Mal in der UN-Geschichte ein unabhängiger Staat unter die Treuhandverwaltung der UN gestellt. Formal wurden die Souveränitätsrechte Kambodschas insofern gewahrt, als der mit dem Pariser Friedensabkommen zwischen den Bürgerkriegsparteien gebildete „Obersten Nationalrat“, dem Prinz Norodom Sihanouk vorstand, als Übergangsregierung fungierte. Diese trat aber, entsprechend dem Friedensabkommen, der UN wesentliche Rechte für maximal 18 Monate ab. Um ein neutrales politisches Umfeld für die Wahlen zu sichern, wurden entscheidende Ministerien und Behörden unter die direkte Kontrolle der UN gestellt. Dazu gehörten das Außen-, Verteidigungs- und Finanzministerium sowie die mit Innerer Sicherheit und Information beschäftigten Regierungsstellen.

Zu den Aufgaben der UNTAC gehörten – außer der Organisation demokratischer Wahlen - unter anderem die Sicherung des Waffenstillstandes, die Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien, die Rückführung der Flüchtlinge, die Hilfe bei Erarbeitung einer demokratischen Verfassung und der Schutz der Menschenrechte.

Teilnehmer der Mission

Die UN-Mission bestand aus Teilnehmern aus über 100 Ländern. Zu den insgesamt circa 15.000 Blauhelm-Soldaten aus 32 Staaten kamen über 3.000 Blauhelm-Polizisten sowie 2.000 Zivilisten aus weiteren Ländern hinzu. Auch die Bundeswehr war zum ersten Mal an einer größeren UN-Mission beteiligt: Sie schickte 150 Sanitätssoldaten als Blauhelme nach Kambodscha.

Die Mission wurde von Yasushi Akashi (Japan) als Sondergesandten des UN-Generalsekretärs geleitet: Dem militärischen Teil der Mission stand der australische General John Sandersonvor. Die Operation kostete insgesamt 1, 6 Milliarden Dollar.

Bilanz der Mission

UNTAC gelang die Organisation demokratischer Wahlen zum Nationalparlament. Über 4,5 Millionen Kambodschaner - fast 90 Prozent der registrierten Wähler – nahmen daran teil. Auch wurden 360.000 Flüchtlinge wiedereingegliedert. Eine weitgehende Entwaffnung fand statt. Allerdings wandten sich die Roten Khmer schon nach kurzer Zeit gegen das von ihnen mit unterzeichnete Pariser Friedensabkommen. Sie boykottierten die Wahlen in den von ihnen besetzten Nordgebieten und ließen sich nicht entwaffnen. Die UN-Truppen nahmen das hin, weil ein militärisches Vorgehen gegen die Roten Khmer von den anderen kambodschanischen Fraktionen nicht unterstützt wurde und ein eigenmächtiges Vorgehen der UN den gesamten Friedensprozess zunichte gemacht hätte.

Im Gefolge der Wahlen bildete sich eine Koalitionsregierung mir zwei gleichberechtigten Ministerpräsidenten. Der eine repräsentierte die Partei Prinz Sihanouks, die Nationale Einheitsfront für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und kooperatives Kambodscha (Französisch: Front Uni National pour un CambodgeIndépendant, Neutre, Pacifique, et Coopératif, FUNCINPEC), die 45 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Der zweite kam von der Kambodschanischen Volkspartei (englisch: Cambodian People's Party, CPP), die zu Zeiten der vietnamesischen Besatzung die Regierung gestellt und bei den Wahlen 38 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Auch wurde eine demokratische Verfassung verabschiedet, die einen Monarchen als formelles Staatsoberhaupt, ein Mehrparteiensystem und Marktwirtschaft vorsah.

Wie geplant verließen die UN-Truppen sowie ihr Polizei- und ziviles Personal nach 18 Monaten im September 1993 wieder Kambodscha. Insofern wird diese UN-Friedensmission im Wesentlichen als Erfolg gewertet.

Allerdings sind folgende Schwachpunkte der Mission festzustellen:

  • Die Nichtentwaffnung der Roten Khmer führte zum Wiederaufflammen des Bürgerkrieges. Erst 1998, nach dem Tod von Pol Pot, wurde der Bürgerkrieg endgültig beendet.
  • Die absolute Priorität der Mission bestand entsprechend westlicher Demokratievorstellungen darin, demokratisch gewählte nationale Institutionen (Parlament, Regierung) zu schaffen. Örtliche Wahlen fanden erst Jahrzehnte später statt. Diese den Zentralismus fördernde Vorgehensweise wird mit dafür verantwortlich gemacht, dass Kambodscha heute trotz seiner formal demokratischen Verfassung autoritäre Züge aufweist.
  • Noch heute gehört Kambodscha zu den ärmsten Ländern der Welt. Die von der UN mit initiierte Marktliberalisierung begünstigte einen „Raubtierkapitalismus“ und die weite Verbreitung von Korruption.
  • Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer begann erst 2003 mit Unterstützung der UN. Bis 2011 wurde erst ein ehemaliger hochrangiger Roter-Khmer-Anführer verurteilt, weitere vier sind angeklagt Massenmorde verübt zu haben.

Quellen und weiterführende Informationen:

BICC 11/2011


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