Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration

Seit den 1990er Jahren liefen weltweit mehr als 60 Programme zur Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (eng. Disarmament, Demobilisation and Reintegration - DD&R). Geographisch gesehen wurden die meisten von ihnen in afrikanischen Ländern durchgeführt, allerdings gab es auch DD&R-Aktivitäten in Lateinamerika, der Karibik, Süd- und Osteuropa, Zentral- und Südasien sowie der Südpazifikregion. Obwohl sich DD&R-Planer in der Regel an die international geltenden Standards der UN zu halten versuchen (Integrated Disarmament, Demobilization and Reintegration Standards), ist es nicht immer möglich und sinnvoll, diese in jedem Land gleichermaßen umzusetzen. Der Demobilisierungsprozess in Kolumbien folgte beispielsweise anderen Maßgaben und Zielen als der aktuelle DD&R-Prozess im Südsudan; DD&R in Haiti hat vollkommen andere politische Hindernisse zu überwinden als in Afghanistan.

DD&R im spezifischen Länderkontext

Kurz - auch wenn letztendlich das übergreifende Ziel die Herstellung von Sicherheit und Stabilität in Postkonfliktsituationen ist, sollten DD&R-Prozesse stets an die Realitäten vor Ort angepasst sein und die besonderen Bedingungen im Land berücksichtigen. Bedeutend ist z.B. der sozioökonomische Kontext, in dem DD&R stattfindet, verbunden mit den nationalen Kapazitäten zur Wiedereingliederung der Exkombattanten. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Planung von DD&R-Programmen ist die Organisation der bewaffneten Gruppen und Streitkräfte, die es zu demobilisieren gilt. So gestaltet sich beispielsweise die Demobilisierung von konventionellen Armeen ganz anders als die von Milizen. Hier gibt es grundsätzlich drei strategische Ansätze:

  1. DD&R von konventionellen Armeen bzw. Streitkräften: Eine strukturierte und zentralisierte Entwaffnung und Demobilisierung findet oftmals in separaten Lagern statt. Die Demobilisierung ist eng verbunden mit Bestrebungen zur Reform des staatlichen Sicherheitssektors.
  2. DD&R von bewaffneten Gruppen: Dies geschieht oft in Form von dezentralen Demobilisierungsprozessen, in denen Individuen identifiziert, registriert und weiter begleitet werden. Oft werden Anreize zur freiwilligen Entwaffnung gegeben. Die Reintegration der Exkombattanten ist eng mit lokalen Wiederaufbauprozessen in den Gemeinden verbunden.
  3. Gemischter DD&R-Ansatz: Er umfasst sowohl die Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung von bewaffneten Gruppen und nicht staatlichen Gewaltakteuren als auch von konventionellen Streitkräften.

Auch die sozioökonomischen Reintegrationsmöglichkeiten für Exkombattantinnen und Exkombattanten sind in jedem Land höchst unterschiedlich. Während sich etwa im Südsudan die Wiedereingliederung aufgrund der kaum vorhandenen Infrastruktur und sehr eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten äußerst schwierig gestaltet, bieten sich im Nachbarland Uganda weitaus umfangreichere Reintegrationsoptionen.

Sicherheitsorientierte vs. entwicklungsorientierte DD&R-Prozesse

Seit den 1990er Jahren haben sich DD&R-Programme grundsätzlich gewandelt. Damals waren DD&R-Prozesse noch sehr stark darauf fokussiert, eine Reduktion der Militärausgaben und eine Stabilisierung des jeweiligen Landes zu erzielen (minimalistischer Fokus auf Peacebuilding). Heute stehen Friedenskonsolidierung, menschliche Sicherheit und Entwicklung im Mittelpunkt von Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung. Die heutigen DD&R-Programme sind breiter angelegt als früher, dauern länger, beziehen größere Zahlen von Exkombattanten ein und sind finanziell besser ausgestattet. Darüber hinaus werden sie mit anderen ökonomischen, politischen und sozialen Reformprozessen verknüpft. Es dreht sich dann nicht länger nur um den einzelnen Exkombattanten, sondern auch um verwundbare Gruppen wie zum Beispiel Frauen und Kinder, die oftmals etwa als Träger, Kindersoldaten oder Versorgungstruppen in das aktive Kriegsgeschehen eingebunden gewesen sind.

Individuelle und gemeinschaftsorientierte Reintegrationsansätze

Die internationale Gemeinschaft ist zunehmend zu der Einsicht gekommen, dass DD&R-Programme keine isolierten und rein technischen Prozesse sind, sondern in enger Verbindung zu anderen Entwicklungsprojekten stehen sollten. Dies trifft insbesondere auf die sozioökonomische Reintegration von Exkombattantinnen und Exkombattanten zu. So wird die und der Einzelne zwar immer noch in der Reintegrationsphase durch berufliche Ausbildungsprogramme, Trainings und Beratung unterstützt (individuelle Reintegration). Diese Aktivitäten gehen aber mehr und mehr mit Programmen zur Unterstützung der Heimatgemeinden, die Zurückkehrende aufnehmen, einher. Bei diesen gemeinschaftsorientierten Reintegrationsansätzen sollen Kommunen zum Beispiel bei der Entwicklung der lokalen Infrastruktur unterstützt werden. Die finanzielle oder materielle Unterstützung der bzw. des Einzelnen weckt hingegen vielfach Neid innerhalb der Heimatgemeinden und kann weitere Konflikte schüren. Der Schwerpunkt bei den gemeinschaftsorientierten Reintegrationsansätzen liegt auf Kommunen, die eine besonders große Zahl von Rückkehrerinnen und Rückkehrern aufnehmen, oder aber ein hohes Risiko von gewaltsamen Konflikten etwa zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen aufweisen. Derartige gemeinschaftsorientierte Reintegrationsansätze wurden in Haiti, Mosambik, den Philippinen, der Demokratischen Republik Kongo und im Sudan erprobt und angewendet.

Ihr grundsätzlicher Mehrwert besteht vornehmlich darin, dass sie sehr an den lokalen Kontext angepasst sind und auch die Konflikte in den aufnehmenden Gemeinschaften berücksichtigen. Ohne entsprechende Unterstützung hätten etliche Gemeinschaften gar nicht die notwendige Kapazität oder auch kein Interesse daran, weitere Personen in ihren Kreis aufzunehmen. Denn Exkombattantinnen und Exkombattanten verfügen aufgrund ihrer militärischen Vergangenheit in vielen Fällen nur über eine begrenzte schulische Bildung und keine Berufsausbildung. Sie sind in ihrer Denkweise stark militärisch geprägt, was Schwierigkeiten im sozialen Umgang mit anderen Gemeinschaftsmitgliedern oder traditionellen Führern nach sich zieht. Oft sind sie traumatisiert oder haben mit psychologischen Problemen wie etwa einem hohen Aggressionspotential zu kämpfen. Für die jeweiligen Gemeinden wäre die Aufnahme von Exkombattantinnen und Exkombattanten deshalb oft eher eine Last als ein Zugewinn. Die kollektive Einbeziehung der Gemeindemitglieder in die DD&R-Programme soll diesem Dilemma entgegenwirken. In der Praxis werden beide Reintegrationsansätze allerdings oft parallel angewendet.

Quellen und weiterführende Informationen

BICC 11/2011


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