Erdöl - Treibstoff für Konflikte

Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, ist gleichzeitig sein größter Erdölproduzent und steht an siebter Stelle der weltweiten Produktion. Über zwei Millionen Barrel Erdöl werden täglich produziert- ein Großteil davon auf dem Festland („onshore“), ein kleinerer auf hoher See („offshore“). Die erdölfördernde Region Niger-Delta galt lange Zeit als der größte Konfliktherd Nigerias. Zwar ist das Niger-Delta kein Bürgerkriegsgebiet im engeren Sinne, aber Auseinandersetzungen zwischen der Zentralregierung und bewaffneten Gruppen fordern seit der Jahrtausendwende jedes Jahr Hunderte von Toten. In einer komplexen Gemengelage politischer und wirtschaftlicher Interessen sind kriminelle und gewalttätige Handlungen auf beiden Seiten an der Tagesordnung.

(Bewaffnete) Konflikte um die Verwendung der Erdöleinnahmen

Die Einnahmen aus der Erdölproduktion im Niger-Delta stellen 80 Prozent des Staatshaushalts und über 90 Prozent der gesamten Exporteinnahmen des Landes dar. Die Gesamteinnahmen der Zentralregierung von 1999 bis 2004 beliefen sich auf 95 Milliarden US-Dollar. Zieht man staatliche Investitionen in die Erdölförderung davon ab, bleiben immer noch 77 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum. Die Zentralregierung in Abuja beansprucht das Eigentum an den gesamten Ölreserven Nigerias für sich und verwaltet den Großteil der Einnahmen. Die Militärregierungen von 1966 bis 1999 legten die Einnahmen zudem nicht offen und nutzten sie in hohem Maße zur eigenen Bereicherung und Festigung ihrer Macht. Eine der Konfliktlinien verläuft also zwischen Zentralregierung und militanten Gruppen im Niger Delta, die um die Teilhabe an den Einnahmen des Ölexportes streiten. Auch nach dem Ende der Militärdiktatur 1999 gingen die Auseinandersetzungen (zwischen Zentralregierung und militanten Gruppen im Niger-Delta) weiter. Zwar verwalten seither die Regionalregierungen einen größeren Anteil der Einnahmen, doch sie sind ähnlich korrupt wie das Regime in Abuja. Um die Jahrtausendwende eskalierte die Gewalt im Niger-Delta. Militante Gruppen, die Anfang der 2000er Jahre mit gewalttätigen Angriffen auf die Ölinstallationen begannen, wollten eine Teilhabe an den Einnahmen des Ölexportes erstreiten. Auch zwischen verschiedenen dortigen Gemeinden kam es zu Kämpfen um die Vorteile aus der Erdölförderung. Ab 2005 schlossen sich mehrere bewaffnete Gruppen zum MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta) zusammen und verstärkten ihre Angriffe auf Ölinstallationen. Der Diebstahl von Rohöl im großen Stil begann. Dazu wird das Öl von den Pipelines abgezapft oder von Schiffen abgepumpt. Wurden die Kämpfer anfangs durch lokale Politiker bewaffnet, konnten sie sich bald durch den Verkauf des gestohlenen Öls selbst schwere Waffen und Munition leisten. Die Zentralregierung reagierte mit militärischen Operationen, die auch viele zivile Opfer forderten. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen gingen zwischen 70.000 und 500.000 Barrel Rohöl am Tag durch Diebstahl und Sabotage verloren – also bis zu einem Viertel der gesamten Tagesproduktion. Mit dem Amnestieprogramm von 2009 für Milizen, die ihre Waffen abgaben, wurden die bewaffneten Auseinandersetzungen zwar weitgehend eingestellt. Die kriminellen Netzwerke aus militanten Gruppen, Politikern, lokalen Eliten und internationalen Waffenhändlern bestehen jedoch weiterhin. Zum Schutz ihrer Anlagen zahlen die Ölfirmen zum Teil weiter Schutzgelder an gewalttätige militante Gruppen. Kleinwaffen sind in der Region weit verbreitet und erhöhen die Gefahr neuer Gewaltausbrüche.

Nachteilige Entwicklung im Niger-Delta

Im weiteren Sinne geht es bei den Konflikten im Niger-Delta auch um die Verteilung der Vor- und Nachteile, die sich aus der Erdölförderung ergeben. Wie werden die Einnahmen verwendet? Wer hat die Kosten und Lasten der Erdölförderung zu tragen? Die Erdöleinnahmen haben die Lebensbedingungen der Bevölkerung im Niger-Delta im Durchschnitt nicht verbessert. 70 Prozent leben unter der nationalen Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit ist signifikant höher als im Rest der Republik. Die Infrastruktur ist sehr schlecht und die Kindersterblichkeitsrate liegt bei 20 Prozent (Technical Committee 2008). Gleichzeitig müssen die Dörfer in Ölfördergebieten die negativen Auswirkungen der Förderung ertragen. Dazu gehören die Verschmutzung von Land und Wasser durch Lecks in den Pipelines und gesundheitliche Risiken durch das Abfackeln der aufsteigenden Gase (gas flaring). Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen vermerkte über 6.800 Öl Lecks zwischen 1976 und 2001, die mehr als drei Millionen Barrel Öl verloren. Laut Amnesty International liefen in den 50 Jahren bis 2009 rund neun Millionen Barrel Öl aus. Menschenrechtsorganisationen weltweit haben jahrzehntelang versucht, die Ölfirmen für diese Umweltverschmutzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Ein niederländisches Gericht sprach schließlich Shell, das seinen Sitz in den Niederlanden und England hat, wegen zwei Öl Lecks im Niger-Delta, die Fischgründe zerstört hatten, schuldig. Im September 2011 akzeptierte die nigerianische Tochterfirma von Shell Schadenersatz an die Bewohner der betroffenen Gemeinde zu zahlen.

Die Verantwortung der Erdölfirmen

An diesem Beispiel wird die Verantwortung der Erdölfirmen bereits sehr deutlich. Das Erdöl wird in Nigeria in Joint Ventures der nationalen Petroleumfirma NNPC (Nigeria National Petroleum Corporation) mit internationalen Ölfirmen wie Shell, Mobil, Total, Chevron und Agip abgebaut. Das größte Joint Venture, betrieben von Shell, fördert knapp die Hälfte des nigerianischen Rohöls. Ein Problem ist der Umgang der Ölfirmen mit der lokalen Bevölkerung. Für die Ölförderung mussten häufig Dorfbewohner umgesiedelt und für verlorenes Land entschädigt werden. Doch durch diese Kompensationszahlungen entstanden auch Konflikte zwischen den Bewohnern des Deltas. Dies ist auf missglückte Kommunikation und intransparentes Handeln auf Seiten der Ölkonzerne zurückzuführen. Nach jahrelangen friedlichen Protesten gingen Teile der Bevölkerung sogar zu Sabotageakten gegen die Ölinstallationen über. Shell kam 2003 in einem internen Gutachten zu dem Ergebnis, dass das eigene Verhalten Konflikte unter der Bevölkerung und Proteste gegen die Ölförderung geschürt hatte. Die Erdölförderung in Nigeria geht einher mit Konflikten um die Verteilung der Einnahmen, lokalen Auseinandersetzungen um die Vorteile und Kosten der Erdölförderung sowie einer auf Öldiebstahl basierenden Gewaltökonomie. Hoffnungen für eine bessere Zukunft liegen unter anderem auf Transparenzinitiativen wie EITI (Extractive Industries Transparency Initiative), die die Öleinnahmen offen legen. Die Ausgestaltung des Amnestieprogramms wird ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung im Niger-Delta haben. Im Gegensatz zu anderen Demobilisierungsprogrammen der Vereinten Nationen hat die nigerianische Regierung das Amnestieprogramm in eigener Regie durchgeführt.

Quellen und weiterführende Informationen:

BICC 01/2012


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